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Gerne beginnen wir hier unsere Wanderungen in den nahegelegenen Pfälzerwald, an dessen hügeliger, von Weinbergen bestimmter Randzone sich das Dörfchen befindet. Die klimabegünstigende Lee-Wirkung des Pfälzerwaldes, die für die überdurchschnittliche Anzahl an Sonnenstunden verantwortlich ist, bildet gemeinsam mit den hier vorherrschenden Böden die Grundlage für den Anbau von Spitzengewächsen. Das VDP-Weingut Siegrist sei hier als bekanntestes Beispiel genannt. Selbst Genussspechte aus Münster sollen hier schon kistenweise fündig geworden sein.
Die beste Weinlage heißt dann auch ganz treffend „Leinsweiler Sonnenberg“. Hier in aussichtsreicher Hanglage thront der historische Slevogthof, in dem der deutsche Impressionist Max Slevogt von 1914 bis zu seinem Tode 1932 lebte. Vielleicht war es der phänomenale Blick auf die Rheinebene, die ihn dieses Kleinod ersteigern ließ. Eine noch bessere Fernsicht gewährt eigentlich nur die etwas höher gelegene Burg Neukastell, die im 17. Jahrhundert dem Pfälzischen Erbfolgekrieg zum Opfer fiel und heute ein efeuberanktes Ruinendasein fristet. Ein hochgelegenes, aber schnell zu erreichendes Wanderziel par excellence.
Soviel zum Natur- und Kulturraum dieses nicht nur bei Einheimischen sehr beliebten Örtchens, das den gemeinen Pfalztouristen bei seiner Ankunft mit dem Pkw gleich mit einem infrastrukturellen Problem konfrontiert. Das Parkplatzangebot im Ortskern ist nämlich stark limitiert, weshalb wohl viele dieses Weindorf nur vom Durchfahren her kennen. Das ist schade, denn auch für den hungrigen Besucher hat die Gemeinde Leinsweiler einiges zu bieten. Neben dem etwas außerhalb gelegenen Hotel-Restaurant Leinsweiler Hof und dem nicht minder beliebten Castell, findet der weinaffine Gourmand auch ein paar rustikale Einkehrmöglichkeiten, wo sich zu deftiger Pfalzkost der ein oder andere leckere Tropfen aus der Region genießen lässt.
So auch in der altehrwürdigen Weinstube Zehntkeller, die seit Juni 2018 von den beiden „Kellerkindern“ Esther Jäger und Robert Seither betrieben wird. Jäger und Seither sind im Ort keine Unbekannten, waren sie doch vorher schon ein paar Jahre im beliebten Café Maria tätig. Der Leinsweiler Bourgeoisie, die sich zu ihren überdimensionierten Prachtbauten in bester Hanglage auch die passende Idylle schaffen wollte, war die Gastwirtschaft im unmittelbaren Umfeld natürlich ein Dorn im Auge. Der vorher von der Schweizer Familie Feulner geführte Zehntkeller („Swiss House“ jetzt im Landhotel Schloss Hainfeld) wurde just zu dieser Zeit frei. So entschied man sich, von dem im Birnbachtal gelegenen Ferienhausviertel in Richtung Ortskern zu ziehen.
Denn der Zehntkeller hatte pfalzweit schon immer einen guten Ruf, auch wenn das Gasthaus auf eine ziemlich bewegte Geschichte zurückblickt. Im Mittelalter wurden hier noch die Abgaben der Bauern an ihre Grundherren („Zehnt“) gelagert. Seit 1975 wird in der urigen Weinstube Gastronomie betrieben – wenn auch nicht durchweg. In den knapp 45 Jahren wechselten mehrfach die Pächter. Auch lag das schmucke, aus Fachwerkgebälk und Sandsteinwänden bestehende Anwesen für eine gewisse Zeit lang brach. Umso schöner, dass mit dem ehemaligen Café-Maria-Team nun wieder Pfälzer Gastlichkeit regiert.
Wir parkten direkt an der Weinstraße Richtung Ranschbach, nur wenige Gehminuten vom Lokal entfernt. Das von einem Sandsteinbogen eingefasste Winzertor stand schon offen. Wie früher verkündete ein alter, an der Fassade befestigter Fassboden den Namen der Gastwirtschaft. Durch das Tor hindurch ging es in den romantisch beleuchteten Innenhof, in dem es sich an lauen Sommerabenden sicherlich gut aushalten lässt. Doch daran war Anfang März noch nicht zu denken. Wir passierten die massive Eingangstür zu unserer Linken und befanden uns sogleich inmitten einer der geschichtsträchtigsten Weinstuben der Pfalz.
Verwinkelt, gemütlich und auch ein bisschen eng ging es hier zu. Das Innere des Zehntkellers atmete grundpfälzische Gastlichkeit. Und das auf äußerst sympathische Art und Weise. Es empfing uns eine gesunde Mischung aus Heimat- und Lebensgefühl, die gänzlich ohne Effekthascherei und falsche Folklore auskam.
Weißgetünchte Wände wechselten sich mit unverputztem Gemäuer ab. Dunkle Holzbalken und robuste Stützpfeiler aus Sandstein zeichneten sich für die Statik des Gastraumes verantwortlich. Auf derbem Fliesenboden stand stabiles Holzmobiliar. Die blanken Tische waren lediglich mit ein paar Läufern, Teelichtern und dezenter Blumendeko ausgestattet.
Auf den harten Sitzflächen der Stühle und Holzbänke lagen ausreichend Kissen, die für bequeme Verhältnisse sorgten. Hinten links versteckte sich ein altes Klavier. Auf der rechten Seite, gleich neben dem Eingang, schloss sich der von allerlei Weinflaschen bevölkerte Ausschanktresen an. Für dunklere und hellere Bereiche im Gastraum sorgten die unregelmäßig verteilten Hängelampen. Ein lauschiges Stück Vorgestern, das hier ganz zeitlos auf seine traditionsverbundenen Gäste wartete.
Robert Seither, mein guter Freund aus längst vergangenen Grundschultagen, gibt hier den Wirt alter Schule. Mit Schiebermütze („Batschkapp“ sagt der Pfälzer) und dialektgefärbtem Zungenschlag bediente er zusammen mit einer weiteren Servicekraft seine Gäste und ließ so ganz nebenbei auch noch die Luft aus den Schoppengläsern. Thekendienst ist im Zehntkeller schließlich Männersache. Seine Frau Esther Jäger kümmert sich da lieber um die Zubereitung der Speisen, denn hier kocht die Chefin!
Auf einer großen, eingerahmten Schiefertafel war die Weinempfehlung des Monats, eine Rotweincuvée namens „Ensemble“ (das Viertel für 5,80 Euro) vom Weingut Erlenwein aus dem Nachbarort Ilbesheim, nachzulesen. Auch der Spitzenwermut von Stefan Dorst & Consorten („Merwut“ auf Eis) wurde hier als Aperitif angeboten. Schon draußen vor der Tür entdeckten wir mehrere Tafeln mit Tagesempfehlungen. Blumenkohlsuppe (4,20 Euro), Gemüsequiche mit Salat (9,80 Euro) und Matjesfilet in Apfel-Zwiebel-Sahne mit Pellkartoffeln (10,80 Euro) lauteten an diesem Abend die kulinarischen Anregungen.
Die eigentliche Speisenkarte war auf ein Brett geklemmt und gab zunächst einen Überblick über das täglich wechselnde Wochenangebot. Klassische Hausmannskost wie etwa Kalbsragout mit Spätzle, Lende im Backteig mit Kartoffelpürée, Eier in Senfsauce, Linseneintopf oder Schweinebraten mit Karottenstampf bestimmte das für eine Weinstube ziemlich abwechslungsreiche Programm bei den Tagesgerichten.
Ein Blatt weiter auf der Standardkarte waren die üblichen regionalen Deftigkeiten in Form von Leberknödel, Bratwurst und Saumagen vertreten. Und das zu äußerst konsumentenfreundlichen Preisen (knapp über 8 Euro). Neben den hinlänglich bekannten „Pfälzereien“ wurde auch dem panierten Schweineschnitzel sowie dem altbewährten, bei Fleischessern nach wie vor hoch im Kurs stehenden Rumpsteak gehuldigt. Letzteres übrigens ein echtes Prachtexemplar, wie mir der Blick zum Nachbartisch verriet.
Für Vegetarier mit ausgeprägter Käseaffinität standen gebackener Schafskäse, gebackener Camembert, eingelegter Münsterkäse, Weißer Käse (=angemachter Quark) sowie ein eher musisch sozialisierter Handkäs auf dem Speisezettel. Zwei Suppen, ein paar Salatteller mit wechselndem Zubehör, eine Hausmacher Vesperplatte und ein Straßburger Wurstsalat rundeten den konventionellen Teil des Speisenangebots nicht minder gehaltreich ab.
Eine Flasche Mineralwasser von Gerolsteiner (3,50 Euro) stellte sich brav in den Dienst der Durstbekämpfung, während ein Viertel vom trocken ausgebauten Sauvignon Blanc des benachbarten Weinguts Siegrist (5,80 Euro) unseren Weinsinn schärfte. Vorneweg gönnten wir uns ein paar Vitamine, die als Beilagensalat (3,90 Euro) getarnt im gläsernen Schälchen serviert wurden. Dieser überzeugte mit pflanzlicher Frische, die von einem angenehm sauren Essig-Öl-Dressing passend begleitet wurde. Als Hauptgänge fungierten gebackener Schafskäse (7,80 Euro) und der nicht nur bei Pfälzer Wandervögel so beliebte „Schiefe Sack“ (8,40 Euro). Diese Liaison aus einem fluffigen Leberknödel und einer deftigen Bratwurst hat schon viele ausgehungerte Hüttengänger gestärkt auf die nächste Etappe geschickt. Der obligatorische Sauerkrauthügel und die dunkle Saucenpfütze durften da natürlich nicht fehlen.
Schon der erste Biss in die kross angebratene Wurst ließ auf gute Metzger-Qualität schließen. Auf Nachfrage war dann auch die Herkunft der beiden Schweinereien schnell geklärt. Die Metzgerei Rummel aus dem nicht weit entfernten Böchingen zeigte sich für deren Herstellung verantwortlich. Die Konsistenz der Leberknödel zeichnete sich durch eine lockere Beschaffenheit aus. Aber auch geschmacklich ließ der stattliche Fleischkloß nichts zu wünschen übrig. Er hatte eine angenehme Würze, die gut mit der Säure vom Kraut harmonierte. Das mit einem guten Schluck Weißwein veredelte Sauerkraut machte in der Tat seinem Namen alle Ehre. Schön lang geköchelt hatte es genau die richtige Konsistenz. In der Summe ergab das ein Pfalzteller ohne Schwächen. Zugegeben: recht einfache Hausmannskost, diese aber wunderbar schmackhaft auf den Teller gebracht. Kompliment!
Meine Verlobte haderte dagegen etwas mit ihrem Schafskäse aus dem Ofen. An den Zutaten lag das nicht. Die Kombi aus Tomaten, Peperoni, Zwiebeln, Oliven und dem weich gebackenen Käsequader schwamm regelrecht in Öl. Da hätte es schon einer kompletten Stange Weißbrot bedurft, um den öligen Inhalt der Tonschüssel aufzusaugen. Geschmacklich war da nichts auszusetzen. Wie auch bei meinem Gericht wurde nicht mit der Zugabe frischer Kräuter, in dem Fall Glattpetersilie, gegeizt. Als ich mir ein paar Wochen zuvor an gleicher Stelle ein Schweineschnitzel „Wiener Art“ einverleibte, fiel mir das schon auf. Damals war es gehackter Schnittlauch, der meinem frisch der Pfanne entstiegenen, panierten Folklorestück ein wenig mehr würzige Frische verlieh. Und auch bei genauer Betrachtung des Fotos vom „Schiefen Sack“ wird man die darüber gestreuten Petersilienhäcksel wohl kaum übersehen.
Die Frage nach einem Nachtisch stellte sich in Anbetracht der beiden gerade so bewältigten Pfalzportionen nicht. Wäre ich Kaffeetrinker, hätte ich wahrscheinlich den angebotenen Barraquito (3,50 Euro), eine Kaffeespezialität von den Kanarischen Inseln, probiert. Den bekommt man schließlich nicht in jeder Weinstube.
Den Zehntkeller kann man guten Gewissens wieder empfehlen. Den Ort Leinsweiler als Ziel für einen Tagesausflug sowieso.