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GastroGuide-User: Hanseat1957
Hanseat1957 hat Russischer Hof in 99084 Erfurt bewertet.
vor 6 Jahren
"Erlebnisgastronomie mit russischem Charme und Witz"

Geschrieben am 21.10.2019
Besucht am 18.10.2019 Besuchszeit: Abendessen 2 Personen Rechnungsbetrag: 61 EUR
Allgemein

Im Osten lohnt es sich immer zu schauen, ob eine kulinarische Reminiszenz an die Bruderstaaten überlebt hat. Also Augen auf und scannen, ob man russisch, bulgarisch usw. einkehren kann. In Erfurt kommt man fix auf die Homepage des Russischen Hofs (https://www.russischer-hof-erfurt.de).

Die Karte mit russischen und kaukasischen Gerichten und einer großen Wodkaauswahl versprach einen sättigenden und anregenden Abend beim großen Bruder.

Man darf sich vom äußeren Eindruck allerdings nicht abschrecken lassen. Nach einem großen Wohnriegel aus DDR-Zeiten am Rand der Altstadt kommt eine geschlossene Reihe kleiner Häuschen und unter dem Restaurantschild verbirgt sich nur ein metallener Hofeingang. Es wirkt düster. Zudem zwei ältere Russen im Durchgang, deren Miteinander nicht eindeutig war; ich vermutete, dass der eine schlicht besoffen war und der andere sich kümmern wollte. Meine Begleitung unkte eher einen Überfall.

Der sich öffnende Innenhof ist auch nicht sehr einladend. Das Restaurant selbst liegt in einem Haus in zweiter Reihe und erweist sich als unerwartet geräumig.

Wir waren kurz vor 18 Uhr quasi der dritte Tisch. Vor der Theke tobten zwei Kinder lautstark und auf Barhockern wohl das Wirtspaar. Ich befürchtete schon, den Abend mit Kindergeschrei verbringen zu müssen, aber wohl nach einer Viertelstunde waren die Kinder verschwunden. Ebenfalls unbegründet war die Befürchtung, dass es bei drei besetzten Tischen bleiben würde. Das Restaurant füllte sich zunehmend, darunter zwei größere Gruppen.

Stammgäste, Touris, Neugierige, Landsleute des Wirtspaars? Am Nebentisch meinte meine ständige Begleiterin russisch in der Konversation mit dem später erscheinenden jungen Kellner zu hören. Wohl ein Mix an Motivationen.
Anhand des kleinen Ausschnitts aus der Karte, der auf unserem Tisch landete, kann ich nicht beurteilen, ob die Küche zumindest für einen Westdeutschen durchweg Originelles zu bieten hat. Was wir bekamen war ordentlich. Aber das erlebte „Gesamtkunstwerk“ war den Abend im Russischen Hof allemal wert!

Das Preis-Leistungsverhältnis ist brüderlich und vier Sterne wert!

Service

Als ich die Stimme vom Wirt vernahm, musste ich sofort an Wladimir Kaminer denken. Und was noch besser war: Auch der trockene Humor passte dazu. Er sagte weitgehend zutreffend voraus, was wir bestellen würden. Meine Wodkaneugierde angesichts der Wodkakarte mit 17 verschiedenen Wodkas, die immer als 50 Gramm oder 100 Gramm (Sto Gramm) angeboten werden, gefiel ihm sichtlich. Nach einem schlichten Russkij Standart Platinum 50 g (5 €), überließ ich ihm die beiden nächsten. Leider kann ich mich an den Namen des zweiten (wieder 50 g) nicht erinnern, fand aber nicht, dass er sich erheblich vom ersten unterschied. Dann holte er zur Verabschiedung seine 67-%-Waffe heraus und servierte ihn warm. Erstaunlich gut genießbar angesichts des Alkoholgehalts. Er meinte, dass man einen derart guten Wodka (Eigenimport, gebe es hier nicht) warm trinken müsse, um die Aromaten (ganz leicht angeblich Apfel und Birne) herausschmecken zu können. Ich bleibe lieber bei der eiskalten Variante.
Die Volumengetränke zum Verdünnen des Wodkas kamen schnell auf den Tisch und sind sehr preiswert: Köstritzer 0,3 l Schwarzbier für 2,30 € und für 3 € bekommt man 0,4 l (!) Jever. Da ist die Flasche Wasser 0,75 l mit 4,70 € schon vergleichsweise überteuert. Die acht offenen georgischen Weine liegen zwischen 4,20 und 4,90 € (ich nehme an für 0,2 l, stand aber nicht in der Karte).

Der Wirt wurde von einem jüngeren Kellner unterstützt, auch in der in der Ost-Gastronomie weit verbreiteten schwarzen Köstritzer Kluft, bestehend aus Poloshirt und langer Kellnerschürze.

Die Wartezeiten für die Speisen passten gut; die auf der Karte für das Schaschlik angekündigten 45 Minuten wurden nicht voll in Anspruch genommen.

Der Wirt mit seinem Humor und seiner „Zuwendung“, wenn man Interesse zeigt, verdienen vier Sterne.

Essen

Die Speisekarte und alle Getränke gibt es auf der Homepage zu sehen. Sie ist mit russisch-kaukasisch betitelt. Erwartbar liest man Soljanka, Borschtsch, Pelmeni, Bliny und Schaschlik. Dazu aber noch Einiges, was ich noch nicht kannte.

Wir begannen mit einer Hühnersuppe (Sup Lapscha, 4,00 €) und einer Rindersuppe (Sup Hartscho, 5,50 €). Gut die Mengenangabe auf der Karte mit 300 Gramm, wofür die Gewichtsangabe auch stehen mag. Zumindest darf man mehr als ein Tässchen erwarten.

Also zwei mittelgroße Suppenschalen mit viel Einlage. Beide Suppen vorbildlich heiß serviert. Die Hühnersuppe mit reichlich Fadennudeln und kleinwürfeligem Hühnerfleisch. Gewürzt mit Dill, der die russische Note bildete. Meine ständige Begleiterin war sehr angetan, weckte die Suppe doch Kindheitserinnerungen an Omas Küche. Ich fand die Brühe nur mittelprächtig.

Meine Rindersuppe mit viel Reiseinlage und Rindfleischstücken in einer tomatigen Suppenbasis. Hier deutlich, neben dem Dill, frischer Koriander, der immer das Besondere für mich ausmacht. Aus dem eigenen Döschen etwas Habaneropulver und die Suppe hatte den notwendigen Pfiff.

Beide Suppen schon mehr als eine Vorspeise.

Meine ständige Begleiterin hatte sich wohlweislich (nur) für eine Portion Pelmeni sibirisch entschieden (9,50 €), die in einer Terrine mit einem Grundsatz Brühe serviert wurden. Der Teig für die Teigtaschen zwar etwas dick und die Schweinefleischeinlage klein, aber geschmacklich gelungen. Auch hier eine Prise Dill draufgestreut.
Das Schälchen Dip zu den Pelmeni fiel sehr ab. Ein nichtssagendes Joghurtdressing. Ich hätte saure Sahne für deutlich passender empfunden.

Ich hatte Schaschlik aus Schweinefleisch mit Kartoffelspalten, Gurken-Tomatensalat und einem Schälchen scharfer Soße (12,00 €).

Ich habe für diese Kritik recherchiert, dass Schaschlik im Kaukasus ein Muss zu jeder Gelegenheit ist und das für den Grillspieß vorgesehene Fleisch würzig mariniert wird, bevor es auf den Spieß und Grill kommt. Das weckt Erwartungshaltung.

Die großen, würfeligen Stücken auf dem Spieß ließen leider jede besondere Würzung vermissen und waren durchgegrillt, so dass das Fleisch im Anschnitt und Biss allenfalls mürbe zu nennen ist.

Auf der Salatbeilage der unvermeidliche Dill und auf den roten Zwiebelringen als Auflage des Schaschliks gut Koriander. Und keine Überraschung mehr, dass auch in der roten Soße Koriander und Dill, zudem kleingehackte Zwiebel, festzustellen waren. Sie war leicht säuerlich und leicht scharf. Mir gefiel die Soße und hausgemacht war sie in jedem Fall. Die Kartoffelspalten sehr heiß und gut sättigend. Für 12 € eine sehr starke Portion.

Beim Schaschlik hat es der Koch versäumt, mein Wohlgefallen zu erzeugen. Beim Rest schon positive Momente, aber mit 3,5 Sternen ist die Russische Hofkirche gut bedient.

Ambiente

Die Eingangssituation von der Straße bis ins Restaurant habe ich bereits beschrieben, so nach dem Motto „Da muss man durch, nicht abschrecken lassen“.

Drinnen auch irritierend die große Spielecke für die Familienkinder.

Ansonsten viel rot an den Wänden im rechten Bereich, in dem wir Platz nehmen durften und der festlich eingedeckt die Fotogalerie auf der Homepage dominiert. Auch die Tischläufer rot-floral. An den Wänden dunkle Täfelung, Spiegel, Lederbänke und naive Motive russischer Stadtansichten. Alles wenig illuminiert, also rot-schummrig im Gesamteindruck. Es fehlten eigentlich nur Ikonen an den Wänden und Don-Kosakengesank um Alt-Russland zu imaginieren (so wie ich es mir schlicht vorstelle).

Sauberkeit

Prosaisch die Toiletten. Frisch erneuert und sauber. In der Herrentoilete war die Decke im Vorraum noch nicht vollendet.
DETAILBEWERTUNG
Service
Sauberkeit
Essen
Ambiente
Preis/Leistung


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