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GastroGuide-User: marcO74
marcO74 hat Gasthaus Hirschen in 79379 Müllheim bewertet.
vor 2 Jahren
"Solche mit Leib und Seele betriebenen Landgasthöfe sind aller Ehren wert, aber heute leider vom Aussterben bedroht"
Verifiziert

Geschrieben am 15.01.2023 | Aktualisiert am 16.01.2023
Besucht am 15.08.2022 Besuchszeit: Abendessen 3 Personen Rechnungsbetrag: 69 EUR
In dem nordwestlich von Müllheim gelegenen, ca. 1000 Einwohner zählenden Ortsteil Britzingen trägt das erste Haus am Platz in alter gasthöflicher Sitte einen Tiernamen. Die Rede ist vom traditionsreichen Gasthaus Hirschen, das hier den kulinarischen Platzhirsch markiert.
 
Dass es in Deutschlands Südwesten noch Gastwirtschaften gibt, die nach Vierbeinern benannt sind, lässt einen heutzutage zumindest aufhorchen, gehören diese doch zu den vom Aussterben bedrohten Einkehrarten aus der guten alten Zeit. Doch von diesen anachronistisch anmutenden Namen sollte man sich nicht täuschen lassen.
 
Hinter so mancher kerniger Wirtshaustür versteckt sich ein gutbürgerliches Juwel – so wie in diesem Fall der von Küchenchef Martin Schumacher im Jahre 2000 aus elterlicher Hand übernommene Vorzeigegasthof im Herzen von Britzingen.
Außenansicht vom Gasthaus Hirschen
Zusammen mit seiner Frau Simone, die mit ihm in der Küche arbeitet, führt er den Betrieb in vierter Generation.
 
Glaubt man den Informationen aus dem Netz bzw. seinem geschulten Gaumen, so handelt es bei dem 51-jährigen Martin Schumacher um einen Koch, der Einfaches mit entsprechendem Aufwand extrem gut auf die Teller bekommt. Der Legende nach bedankte sich kein Geringerer als der Stuttgarter Sternekoch und Gastrosoph Vincent Klink („Wielandshöhe“) im Gästebuch des „Hirschen“ für das „beste Kotelett seit Jahren“. 
 
Denn Martin Schumacher ist einer, der sich die Mühe einer regelmäßig wechselnden Speisekarte macht, seine Produkte mit bedacht auswählt und am liebsten alles selbst zubereitet. Dass dies von den Gästen gewürdigt wird, merkt man schon daran, dass hier selbst an einem Montagabend ohne Reservierung gar nichts geht.
 
Gut, dass ich bereits ein paar Tage zuvor zum Hörer (also zum Smartphone) gegriffen hatte und einen Tisch für zwei Personen plus Kleinkind reservieren konnte. Mein zweiter Wunschkandidat, der renommierte Gasthof Ochsen in Müllheim-Feldberg, gönnte sich zu der Zeit eine sommerliche Verschnaufpause.
 
Und so freuten wir uns nach der unfreiwilligen Regendusche am späten Nachmittag – auf unserer Wandertour um den Nonnenmattweiher wurden wir von einem Gewitter überrascht – auf die behagliche Wärme eines familiär geführten Traditionsgasthauses im Herzen des Markgräfler Landes.
 
Drinnen empfing uns nicht nur eine gut gelaunte Servicedame, sondern eine nostalgische Gasthausidylle wie aus dem Bilderbuch.
Wirtshausatmo pur
Holzvertäfelte Wände, eine von kernigen Holzbalken durchzogene Decke, ein Kachelofen von anno dazumal, Lampenschirme wie vor 40 Jahren und bequem gepolsterte Eckbänke kreierten eine ganz besonders warme Atmosphäre.
 
Auf einer solchen Eckbank durften wir es uns im hinteren Gastraum dann bequem machen. Der Kindersitz für unser quicklebendiges Fräulein stand da schon bereit. Gerahmte Schwarzweiß-Fotographien aus längst vergangenen Tagen erinnerten unter anderem an die Geschichte dieses altehrwürdigen Hauses.
Gastraum mit Geschichte und ganz viel Flair
Doch nicht nur die heimelige Umgebung ließ uns in seligen Erinnerungen an einstige Gastrozeiten schwelgen, auch der mit Bedacht zusammengestellte Speisenzettel – wahrlich keine übertrieben lange Liste, sondern ein überschaubares Konglomerat aus handfesten Leib- und Seelengerichten – versprach besserbürgerlichen Genuss ohne zeitgeistigen Firlefanz.
 
Auf der Homepage lässt sich das Speisenangebot leider nicht nachlesen. Inhaber Schumacher macht sich scheinbar nicht so viel aus den neuen Medien. Dass er allerdings auf einen Kombidämpfer verzichtet, ehrt ihn fast schon wieder.
 
Auf der ersten Seite der Karte tummelten sich drei Vorspeisen, genauso viele Salate, zwei Suppen und – wir sind ja schließlich hier im Schwarzwald – drei Forellengerichte mit lebendfrischen Exemplaren aus der alteingesessenen Forellenzucht Drafehn in Seelbach (bei Lahr).
 
Bei den Hauptgerichten gab es, bis auf zwei fleischlose Gerichte, ein Gemüse-Curry und frische Rahmpfifferlinge waren in der Karte gelistet, nur deftige Karnivorenkost. Da hatte ich natürlich die Qual der Wahl, die mit der spontanen Entscheidung für ein Rumpsteak von der Schwarzwälder Färse mit grüner Pfeffersauce, hausgemachten Spätzle (statt den üblichen Pommes frites) und Beilagensalat (28,50 Euro) jäh endete.
 
Meine Frau mochte es nicht weniger deftig und orderte das Schäufele mit Kartoffelsalat (12,80 Euro). Ihre Lust auf knackiges Grün linderte ein zusätzlicher Blattsalatteller (6,50 Euro) als Vorspeise. Dazu gönnte sie sich eine Flasche Fürstenberg alkoholfrei (0,33l für 3,80 Euro), während mir der Sinn nach einem frisch gezapften, mit Zitronenlimo gemischten Bier (0,4l für 4,60 Euro) stand.
 
Die obligatorische Flasche Mineralwasser zum Teilen landete für freundliche 4,50 Euro (für den Dreiviertelliter) zeitgleich auf unserem Tisch. Später rang ich mich noch zu einem Viertel Grauburgunder (4,80 Euro) von der Winzergenossenschaft Britzingen durch. Kein Fehler, wie sich herausstellen sollte.
 
Unsere Salate kamen passend nach der Hippglas-Erwärmung fürs Töchterlein. Sie waren herrlich oldschool mit Essig und Öl angemacht.
Kleiner Blattsalat wie ihn schon die Oma anmachte (zum Rumpsteak)
Diese simple, aber sehr gut abgeschmeckte Vinaigrette nach Art der Großmutter (nur ohne Maggi!) animierte mich zum Tellerauslecken, was die gute Kinderstube und die kleine Beobachterin im Kinderstuhl daneben natürlich nicht zuließen. Auch meine Gattin war voll des Lobes über ihren Salatteller, der meinen um ein paar Blätter übertraf, aber ansonsten von der gleichen Beschaffenheit war.
 
Bei meinem im gewünschten Gargrad „medium rare“ gelieferten Rumpsteak passte wirklich alles.
Meine Rumpsteakportion aus der Totalen
Vom kleingeschnipselten Sommergemüsehügel über die perfekt sautierten Pfifferlinge bis zur vorhandenen, röschen Bratkruste war das ein beeindruckendes Bild eines perfekten Fleischtellers.
Wer jetzt nicht Lust auf ein gutes Steak bekommt, ist selbst schuld...oder Vegetarier ;-)
Neben den erwähnten, saisonal beeinflussten Beigaben wurden die hausgemachten, kurz zuvor in Butter geschwenkten Spätzle
Hausgepresste Spätzle
genau wie die unfassbar fein abgeschmeckte Rahmsauce à part geliefert.
Ein Kännchen reinen Saucenglücks
Der Anschnitt des Rückenstücks aus der Färse hielt was der äußere Anschein versprach.
Dafür zahle ich gerne "Färsengeld"
Fleischsaft floss aus dem zartrosa Inneren dieses Charakterstücks, dass es eine wahre Pracht war. Mit einer ordentlichen Kelle Spätzle und dem Kännchen mit der Rahmtunke veredelte ich meine von grünen Pfefferkörnern gekrönte Fleischlandschaft und ließ den Saucenspiegel auf dem Teller rasch ansteigen.
Eine süddeutsche Saucenlandschaft (Luftbild)
Ich dachte mir: wenn schon Soulfood, dann aber bitte in seiner süffigsten Form.
So geht deutsche Küche!
Dagegen wirkte der mit aufgeschnittenen Scheiben vom saftigen Schäufele und dem tadellosen, vielleicht mit dem Sud vom Schäufele verfeinerten Kartoffelsalat bestückte Teller meiner Frau fast wie eine schlichte SeniorInnen-Portion. Dem war natürlich nicht so.
Schäufele "Südbadische Art" mit Kartoffelsalat
Der mit ordentlich Schmackes auf die Platte gekommene Erdäpfelsalat geriet „à la bonne heure“ und war von seiner Menge her absolut ausreichend. Auch das fein geräucherte und zuvor gepökelte Fleisch von der Schweineschulter wurde genau zum richtigen Zeitpunkt seinem heißen (nicht kochenden!) Wasserbad entnommen. Zur aufgeschnittenen Essiggurke und dem kleinen Häufchen Karottenrohkost fehlte nur noch ein Klecks Senf, um diesem südbadischen Klassiker das letzte i-Tüpfelchen an Rustikalität zu verleihen.
 
Hinsichtlich eines Nachtisches zahlte ich nach meinem üppigen Hauptgang im wahrsten Sinne des Wortes „Färsengeld“. Da ging bei mir nichts mehr. Die Dame an meiner Seite ließ sich dagegen noch zwei Kugeln Eis (4,40 Euro) munden, während der Herr Papa mit seiner kleinen Klettermaus die Treppen hinauf zu den Toiletten rauf und runter inspizierte. Somit konnte meine Frau wenigstens in Ruhe ihr Dessert genießen.
 
Rückblickend war der Besuch des Gasthauses Hirschen zu Britzingen ein hausmannsköstliches Unterfangen im bestbürgerlichen Sinne. Wer auf ehrlich gekochte, handwerklich einwandfrei zubereitete Fleischküche ohne Convenience und Pülverchen steht, der ist hier genau richtig.
 
Vor dem fleißigen Küchenchef Martin Schumacher und seinem Team kann man nur ehrfürchtig den Hut ziehen. Denn wer für seine Gäste - selbst bei scheinbar einfachen Gerichten - einen solchen Aufwand betreibt, ist nicht nur liebenswert altmodisch, sondern kann nur ein durch und durch guter Mensch sein. Solche Charaktertypen am Herd, die mit Respekt vor den Produkten und mit Demut vor ihrem Beruf zu Werke gehen, werden heute immer seltener. Leider...
DETAILBEWERTUNG
Service
Sauberkeit
Essen
Ambiente
Preis/Leistung


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