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Nun verschlug es uns Ende Januar mal wieder für zwei Tage in die südlichste Großstadt Deutschlands, deren Klimagunst die Menschen selbst in den Wintermonaten zum Draußen sitzen animiert. Von Kontaktverbot und anderen Beschränkungen des öffentlichen Lebens war da noch keine Spur. Wie sich die Lage in nicht einmal zwei Monaten doch ändern kann…
Doch wie kam es zur Stippvisite übers Wochenende? Ein Weihnachtsgeschenk meiner Liebsten beinhaltete zwei Übernachtungen in einer Ferienwohnung, die fußläufig zur Freiburger Altstadt lag. Münster, Bächle und Studentenkneipen in Reichweite. Januar-Tristesse adé! Wir freuten uns über die kleine Alltagsflucht und natürlich hatte ich mich vorab ein wenig mit der kulinarischen Situation vor Ort vertraut gemacht.
Die Idee, am ersten Abend in einem afghanischen Lokal aufzuschlagen, stammte jedoch von meiner Gattin, die Informationen aus erster Kollegenhand hatte und das Magellan als Insider-Tipp empfohlen bekam. Gute Mundpropaganda war übrigens auch der Grund für den geplanten Besuch des „Kartoffelhauses“ am Folgeabend. Ein Mitglied unserer Wörther Schlemmertruppe schwärmte schon etliche Jahre von dieser Freiburger Institution für gutbürgerliche Knollengenüsse.
Die beiden, für Freitag- und Samstagabend anvisierten Einkehradressen hatte ich im Vorfeld schon telefonisch kontaktiert und dort jeweils einen Tisch für Zwei reserviert. Von der Zollhallenstraße, wo sich unsere hübsche Bleibe befand, bis zur Sundgauallee 110 nach Betzenhausen war es ein knapp einstündiger Fußmarsch, der uns so richtig ausgehungert am Restaurant Magellan ankommen ließ. Beste Voraussetzungen also für eine kulinarische Entdeckungstour durchs aromatische Afghanistan.
Kaum hatten wir die von außen recht unauffällig wirkende, latent an die Bausünden der 70er Jahre gemahnende Lokalität betreten, war ich froh, um die Tage im Voraus getätigte Reservierung. Der Laden brummte an diesem Freitagabend und nach freundlichem Empfang am Tresen führte man uns in den hinteren Teil des Gastraums, wo tatsächlich noch ein Zweiertisch unbesetzt geblieben war.
Dem Andrang entsprechend ging es recht lebhaft zu - ohne jedoch die Kommunikation am Tisch zu erschweren. Ein angenehmer Geräuschpegel, der auf munterem Austausch und appetitanregendem Geschirrgeklapper basierte. Am Nachbartisch hatten es sich derweil ein paar Studentinnen bequem gemacht. Dahinter ein älteres Ehepaar aus der Schweiz – Stammgäste, wie mir der redselige Servicechef und Betreiber des Ladens, Herr Nazari, später beim Plausch verriet.
Warmes Licht durchflutete das zurückhaltend dekorierte, überraschend zeitgemäß eingerichtete Innere des Restaurants. Im Hintergrund waren traditionelle Klänge – wahrscheinlich aus dem Heimatland der Betreiber – zu vernehmen. Dunkelrote Teppiche und kleine, kunstvoll gefertigte Stickereien an den Wänden setzten – wenn auch eher subtil – ein paar orientalische Akzente.
Seit Juli 2015 bringt die Familie Nazari ihre Auffassung afghanischer Esskultur unter ein aufgeschlossenes, sich durch sämtliche Altersschichten ziehendes Publikum. Auf volkstümlichen Deko-Kitsch wird dabei weitgehend verzichtet. In dem mit Geschmack und Sinn für Details gestalteten Gastraum kamen sich Tradition und Moderne nicht ins Gehege, sondern harmonierten außerordentlich gut miteinander.
Dem interessierten Gast wurde eine Sammlung verschiedenster Gewürze und Gewürzmischungen (z.B. Char) auf der langen Ausschanktheke präsentiert. Gleich daneben befand sich ein kleines Separee mit persischer Sitzecke, einem niedrigen Holztisch und jeder Menge orientalisch gemusterter Kissen und Teppichen. Der grob geschätzt für ein Dutzend Personen ausgelegte Raum kam mir mit seiner authentischen Einrichtung (Bilder, Wandornamente, Laternenlampe) wie ein eigenständiger, morgenländischer Mikrokosmos vor. Das orientalische Herz des Magellan hatte nicht viel mit dem übrigen, eher zweckmäßig ausgestalteten Gastraum gemein.
Innenansicht
Dieser war in Sachen Einrichtung recht nüchtern gehalten. Man setzte auf schlichte Bistrotische mit heller Holzplatte und nicht minder funktionale Holzstühle, wie sie in vielen Verzehrstuben zu finden sind. Letztere waren mit gepolsterten Unterlagen versehen, was für den Sitzkomfort definitiv kein Nachteil war. An der Längsseite des Gastraumes reihten sich hohe Fenster aneinander. Durch eine eingelassene Glastür ging es nach draußen zur komplett verwaisten Sommerterrasse. Mögen wieder wärmere Zeiten das gesellige Beisammensein unter freiem Himmel ermöglichen…
Nun, auch im Inneren des Magellan ging es recht vergnüglich zu. Wir akklimatisierten uns schnell und hielten alsbald die in rotem Einband steckende Speise- und Getränkelektüre in Händen. Das Programm gegen den Hunger erinnerte mich an wenig an die Köstlichkeiten, die in indischen Lokalitäten auf der Speisetafel stehen. Das wunderte mich nicht, wurde doch die Landesküche Afghanistans maßgeblich von seiner geographischen Lage an der Seidenstraße bestimmt und so von der persischen und indischen Esskultur stark beeinflusst.
Das Angebot beinhaltete eine Handvoll Vorspeisen (Teigtaschen, Schafskäse, frittiertes Gemüse im Kichererbsenmantel), ein paar Suppen (Linsen-Dahl und Tomatencreme), ein knappes Dutzend Salate und eine ausgewogene Palette an vegetarischen Speisen sowie Fleischgerichten (mit klarem Bekenntnis zu Huhn und Lamm). Zusätzlich standen noch sechs verschiedene Grillgerichte und drei Menüs zur Wahl.
Letztere entpuppten sich als dreigängige Speisefolgen, deren Vor- und Nachspeisen aus dem À-la-Carte-Angebot entnommen waren. Bei den Hauptgängen fuhr man allerdings die „Politik der gemischten Platte“. Für die Erstsemester im Fachbereich „Afghan-Cuisine“ eine willkommene Gelegenheit um sich erste Basics „reinzuziehen“. Zumal die Menüs auch preislich (24 / 28 / 33 Euro) interessant erschienen.
Auch dem kleineren Hunger wurde mit ein paar Gerichten entsprochen. Genau wie den kleineren Gästen. Ach, wie hätte ich mich als Kind bei gedämpftem Basmatireis (das Wort „Basmati“ hätten meine Eltern natürlich vorsichtshalber weggelassen…) und Hackfleischsoße vom Rind hier wohlgefühlt.
Ganz abgesehen von den süßen Versuchungen, die in Form von Halwa (Grießschnitte), Schir Berendj (afghanischer Milchreis), Firni (orientalische Panna Cotta) und Shir Yach (Fruchtcocktail auf Vanille-Eis mit Rosenwasser und Kardamom) den Speisezettel landestypisch abrundeten. Gut, es gab auch Coupe Dänemark, Schwarzwaldbecher und Apfelstrudel für weniger experimentierfreudige Schleckermäuler.
Die Getränkekollektion offenbarte zwar keine veritablen Rebsaftraketen, aber durchaus ordentlichen QbA-Standard. Markgräfler Gutedel und Herxheimer Honigsack Rieslingaus der Pfalz waren viertelweise zu manierlichen Preisen (4,10 bzw. 5,10 Euro) erhältlich. Fürstenberg Pils und Paulaner Hefeweizen gab es vom Fass. Das trübe Waldhaus-Bier („Ohne Filter“) aus dem südlichen Schwarzwald kam für 3,30 Euro aus der 0,33l-Flasche. Da griff ich doch gerne zur Pulle. Für den halben Liter Schwarzwaldsprudel „classic“ wurden wir um 3,80 Euro erleichtert. Preislich bewegten sich unsere Durstlöscher allesamt im fair kalkulierten, sprich grünen Bereich. Das passte farblich zum Pastis mit Eiswasser (3,90 Euro), den ich mir vorweg als Apero gönnte.
Unser erster Hunger sollte vegetarisch gestillt werden. Wir wählten Pakaura (4,20 Euro) und Sambosa (5,90 Euro) aus der Liste warmer Kleinigkeiten zum Vorwegverzehr. Bei Ersteren handelte es sich um drei frittierte Gemüsebratlinge, die hauptsächlich aus Kartoffelmasse bestanden. Zusammen mit Zwiebeln, Zucchini und Auberginenstreifen wurden die knusprigen Pakaura einmal durch den Kichererbsenteig gezogen, bevor sie in die Fritteuse getaucht wurden. Dazu wurde ein scharfes Chutney auf Tomatenbasis gereicht. Das passte ganz prima und sorgte für wohliges Brennen auf der Zunge.
Pakaura
Als Sambosa wurden zwei hausgemachte, mit Kichererbsen, Kartoffeln, Tomaten, frischem Koriander und normal gelaunten Erbsen gefüllte Teigtaschen bezeichnet. Scheinbar eine typisch afghanische Vorspeise, die sich bestimmt auch gut als Resteessen eignet. Kulinarisch beheimatet zwischen indischen Samosas und chinesischen Frühlingsrollen, waren diese aromatisch duftenden (Koriander!), Frittierpakete ein genussvoller Auftakt. Zumal auch hier der scharfe Chutney-Dip selbst auf die hintersten Geschmacksknospen stimulierend wirkte.
Sambosa
Meiner Frau empfahl der gesprächige Servicechef das afghanische Festtagsgericht namens Kabuli Palau, was sich wahrscheinlich mit „Reis nach Kabuler Art“ übersetzen ließe. Sie entschied sich allerdings für die vegetarische Version (14,40 Euro), die mit gebratenen Auberginen serviert wurde. Das einem usbekischen Pilaw nicht unähnliche, afghanischste aller Reisgerichte wurde ganz traditionell mit gedämpftem Basmatireis, geschmorten Karotten, Mandelstiften und natürlich Rosinen serviert.
Kabuli Palau vegetarisch
Der Reis kam direkt aus dem Aroma-Abteil des Orient-Express, denn er wurde mit einer speziellen Gewürzmischung aus Kardamom, Nelken, Zimt, Koriander und Pfeffer verfeinert. Dazu wurde noch à part eine Schale mit Dahl – gestampften gelben Linsen mit geröstetem Knoblauch und Ingwer – gereicht.
Dahl als Beilage
Der Reis fiel fantastisch locker aus. Zusammen mit der leichten Süße von Rosinen und Karotten, dem nussigen Mandelcrunch, sowie der wohlriechenden Garam-Masala-Würze, welche mutmaßlich von den mit Tomatensauce bedeckten Aubergine-Scheiben herrührte, war das ein vorzüglicher Veggie-Teller, den sich da meine Frau einverleibte.
Ich tat mich währenddessen an zwei saftigen Hackfleischspießen gütlich. Kababe Kobida nannten sich die beiden wohlgeformten Spießgesellen aus Rinderhack (15,90 Euro). Auch bei ihnen hatte man nicht mit orientalischer Würze gespart. In den fachmännisch gegrillten Hindukusch-Köfte, die ja eigentlich persischen Ursprungs sind – im Iran nennt man sie Kabab Koobideh –, war eine ordentliche Menge an gehackter Zwiebel und frischer Petersilie versteckt, was den beiden Protagonisten auf dem Teller sehr gut bekam.
Kababe Kobida
Als Beilage fungierte auch hier Basmati-Reis, der bei genauer Betrachtung unterschiedlich gefärbt war. Wie man mir erklärte entsteht die Farbe beim Anbraten im Topf und ist typisch für die afghanische Art der Reiszubereitung, bei der wohl auch ein wenig karamellisierter Zucker zugegeben wird. Die separat im Glasschälchen dazu gereichte Knoblauchsauce war hausgemacht und schmeckte auch so. Das war keine Convencience-Mayo-Plempe aus dem Regal, sondern eine mit angenehmer Knoblauchfrische daherkommende Dip-Sauce, die für etwas süffigere Verhältnisse auf dem Teller sorgte.
Von der Portion her war das sicherlich keine Fastenspeise, aber dank des lockeren Reisreigens und der gut bemessenen Hackfleischdosis auch kein monströses Quantum wie man es von dem ein oder anderen Helenengrill her kennt. Maßlose Bifteki-Bestien sind die Afghanen nun wahrlich keine. Gut so. Außerdem beinhaltete der Grillteller ja noch einen herrlich sauer angemachten Beilagensalat. Was kann man da mehr wollen?
Gut, vielleicht etwas gegen die Diabetes-Profilaxe. Denn selbstverständlich wollten wir das Ende des feinen Mahls mit zwei orientalischen Süßspeisen einläuten, was sich in einer zimtigen Grießschnitte namens Halwa
Halwa
und einem nach Rosenwasser und Kardamom schmeckenden afghanischen Milchreis (mit dem wohlklingenden Namen Shir Berenj) manifestierte (beide jeweils 4,90 Euro).
Shir Berenj
Beim Milchreis meiner Frau zeigte sich Mango-Püree für den fruchtigen Akzent des Nachtisches verantwortlich. Meine gar nicht mal so süßen Grießschnitte wurde von hochgezuckerter Karotten-Mandel-Marmelade flankiert. Wie bei der persischen Variante (Moraba Havij) wurde auch hier nicht mit Kardamom und Rosenwasser gegeizt. Solche Aromen sind für den europäischen Gaumen sicherlich etwas ungewohnt, da diese Süßspeisen immer etwas parfümiert wirken. Geschmacklich waren sie jedoch genau wie das vorher Genossene eine durchweg positive Erfahrung für uns.
Nach unserem Abendessen stiegen wir auf der Sundgauallee in die stadteinwärts fahrende Straßenbahn. Für ein paar Bierchen im Schwarzen Kater, einer gemütlichen Studentenkneipe in der Altstadt, war ja noch Zeit. Dass dort juvenile Ü-Sechziger auch beherzt den ein oder anderen Flammkuchen verdrückten, machte das Ganze umso sympathischer.
Bleibt nur zu hoffen, dass das Magellan die Krise übersteht und wir bei einem zukünftigen Freiburgbesuch wieder in den Genuss der afghanischen Leckereien kommen. Aschak, Bolani und Mantu wollen schließlich auch noch probiert werden.
„Mo’afagh bashed!“ liebe Familie Nazari.