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Leider nur berufliche Gründe führten mich mehrfach in den schönen Nordosten des Landes mit satten Rapsfeldern, grünen Alleen und pittoresk renovierten Innenstädten.
Die Reize der Küche liegen manchmal noch im Verborgenen.
Hier mein dritter Bericht aus Schwerin mit Dank an alle, die ihr Mitgefühl für die ersten beiden Besuche ausgedrückt haben:
"Vom Eise befreit sind Strom und Bäche, durch des Frühlings holden, belebenden Blick,"
Nach Brecht und Eichendorff sei nun auch der Dichterfürst bemüht. Dann aber Schluss mit der jahreszeitlichen Lyrik, denn Frühling hieß ja noch nicht, dass in Mecklenburg die Saison begonnen hätte. Und so scheiterte mein Versuch, mit dem Cheval Blanc der dritten Michelin-Empfehlung für Schwerin nachzukommen, selbst Ende April noch krachend an den Schließzeiten des dazu gehörigen Schlosshotels.
Missmutig stapfte ich also durch die schöne Altstadt zwischen Dom und Schloss und hielt nach Alternativen Ausschau. Nichts, was über das gutbürgerliche/mediterrane Allerweltsangebot hinausgegangen wäre. Schon war ich fast bereit, der russischen Suppenküche eine Chance zu geben, als mir im Augenwinkel ein wunderschön renoviertes Gründerzeit-Palais mit elegantem, indirekt beleuchtetem Schriftzug auffiel. Bald stand ich vor einigen schmalen Stufen die bedeckt von einem vörnehmen roten Teppich zwischen zwei Buchsbäumchen zu einer geschlossenen Holztür hinauf führten. Nur eine kleiner Schaukasten, sonst keine weitere Hinweise auf eine Restauration, fast wie ein englischer Club. Aber die Karte - oha, da traut sich jemand was! Wenige Schritte weiter klärte sich auch der zurückhaltende Eingang: An der Ecke öffnet sich das moderne, sehr einladende Weinbistro des Hauses, mit einer Theke, in der Antipasti und Rohmilchkäse höchst appetitanregend präsentiert sind. Hier ist sowohl räumlich als auch kulinarisch der Eingang in die Welt des Uhle, das nach langen Jahren des Verfalls und Monaten der Renovierung erst Ende 2016 mit einem 4-Sterne-Hotel wieder eröffnet wurde. Was aus meiner Sicht auch der einzige Grund ist, dass das Restaurant noch nicht in den Gastro-Führern für dieses Jahr empfohlen wird. Inzwischen habe ich auch übernachtet und kann das privat geführte Haus der Eheleute Frymark nur wärmstens empfehlen!
Aber der Reihe nach: Der Bistro-Chef nahm freundlich und schnell meine Tisch-Reservierung für das Gourmet-Restaurant entgegen und als ich im Herausgehen andere Gäste von den Köstlichkeiten des Bremer Ratskellers schwärmen hörte, nahm ich das als letztes gutes Omen für den Abend.
2 Stunden und einen kleinen Wellness-Stop bei der vermutlich geschwätzigsten Friseurin der Welt später, trat ich frohen Mutes dann doch neugierig durch die geheimnisvolle Tür ein. Ein langer Flur empfing mich, mit einem dicken roten Teppich und hoher dunkler Eichenvertäfelung, zu zwei Flügeltüren führend, hinter denen es verheißungsvoll golden schimmerte. Um gedanklich in der etwas skurrilen Welt jenseits des Kanals zu bleiben: Sollte das mein rabbit's hole sein und würde mich dahinter ein kulinarisches wonderland erwarten?
Nun, nach dem Durchschreiten eines kleinen Rezeptionsbereichs öffnete sich jedenfalls ein beeindruckender Raum. Ein großer Saal mit hoher Tonnendecke, daran einzelne Kassettenfresken mit Szenen rund um den Wein. Auch in den schönen Fenster mit farbigen Gläsern, in den Stuckverzierungen, an den Kandelabern - überall wird bezeugt, dass hier einst die größte Weinhandlung des Großherzogtums residierte. Schön, dass das schwere Pathos der Gründerzeit durch heiteren Rokokostil aufgelockert wird, dunkles Holz trifft auf lindgrüne Decke, Rundbögen auf barockes Gestühl. Die klassische Musik passte sehr gut in das Ambiente. Später gab's recht laut West Side Story auf die Ohren. Auch nicht schlecht, seh und hör ich im Juli open-air auf dem Domplatz in Magdeburg... Außerdem waren wir da nur noch zu viert, die zwei Köche, die Gastgeberin und ich, passte zur lockeren Stimmung!
Die Tischabstände waren angenehm, was bei Gewölben nur nichts hilft - das Gespräch aus der entferntesten Nische konnte ich ohne jede Mühe verstehen. Das Restaurant war ausreserviert, mir blieb nur der Tisch zwischen Küche und Ausgang. Leider war vom Service auch eine Gesellschaft im Bistro zu versorgen. Die erste Hälfte des Abends ging es zu, wie im sprichwörtlichen Taubenschlag. Aber voll ist eben voll. Immerhin wurde auf meinen Wunsch so umgedeckt, dass ich mich im Saal umsehen konnte. Auch sonst wurde ich zunächst von einer jungen Dame freundlich empfangen und schon recht professionell erstversorgt. Sie nahm mir die Garderobe ab und hetzte nicht mit dem Aperitif, machte aber dafür Vorschläge. Die Karten wurden geöffnet überreicht. Schon gut. Die Feinheiten werden sicher mit der Zeit kommen. Das Interesse, noch besser zu werden, ist klar erkennbar, zumal die Chefin kollegial steuert. Nach der Bestellung übernahm dann Frau Frymark meinen Tisch höchstpersönlich, dazu später mehr.
Den Wermut von Belsazar hatte ich schon im Berliner Weinhaus Habel kennen gelernt. Hier wählte ich die Rosé-Variante, die mit Tonic professionell gemixt und mit 6€ preislich angenehm offeriert wurde. Zunehmend vorfreudig stöberte ich durch die Karte und entschied mich mit kleineren Abweichungen für das Degustationsmenüs, dessen 6 Gänge mit 105€ sehr günstig kalkuliert waren.
Die einzelnen Gänge:
(Amuse gueule)
Foie gras und Hefe?
Crépinette! von Perlhuhn und Taubenbrust
Wurzeln und Knollen in Texturen mit Ziegenkäse
Medaillon von der Lotte mit gelbem Staub?
Wiesenkalb mit Anna Kartoffel zwei Punkt eins?
Pommerscher Krummstiel?
Ambitioniert! Unbekannt! Spannend!
Auch die Weinbegleitung war mit 59€ kundenfreundlich kalkuliert. Ich wurde zudem höchst großzügig bedacht. Wenn das Standard ist, müsste man um die Wirtschaftlichkeit fürchten.
Zunächst kam gutes Brot, einmal mit Oliven und Oregano sowie eigentlich untypisch am Beginn des Abends schon ein Früchtebrot. Beide, auch die Fruchtvariante waren angenehm knusprig und wurden von Butter, Himalayasalz, Basilikumpesto und einem Tomatenchutney begleitet, das eine kräftige Rosmarinnote und richtigen Chiliwumms hatte. Alle Achtung, gleich mal eigene Handachrift, nur weiter so!
Das erste Amuse ein echter Frühlingshingucker: Bäckchen vom Müritzzander mit seinem Kaviar als eher seltener, regionaler Begleiter von hiesigem Spargel (Folie und/oder Heizung machen es möglich.) Der Fisch saftig, durch den Kaviar etwas salzig, der Spargel für Ende April schon ok und mit gutem Biss. Mit Bedacht serviert: Warm auf warmem Teller. Mir fehlt zwischen Gemüse und Fisch höchsten ein Verbinder. Aber das ist - ich greife vor - wie überhaupt an diesem Abend, eine Kritik der Marke "Was zur Sterneküche fehlt".
Es folgt ein weiterer Gruß. Rosa Roastbeef von Weidelamm mit Blumenkohl en texture und einer reduzierten Jus. Hier war ein Verbinder der eher seltenen Kombi Lamm und leichte Bitternote vorhanden und ich noch überzeugter von der Leistung. Zusätzlichen Trüffel hätte es nicht gebraucht und daher haben meine Geschmacksknospen auch jegliche Wahrnehmung verweigert.
Zum ersten Gang wurde ganz nach meinem altmodischen Geschmack ein Sauternes gereicht.
Der junge Château Rieussec 2010 war erst etwas eindimensional, entwickelte sich aber im Glas schon passabel.
Die Gänseleber war leicht, cremig, nicht schmierig. Kakaostaub sorgte gelungen für eine Bitternote, eine Traubenreduktion für Süße. Die geheimnisvolle Hefe war im Eis verarbeitet worden und am Gaumen klar zu erkennen. Gewürzchips und Blüten rundeten ab.
Sehr ansprechend die Kreation: Aus der Scheibe war seitlich eine kleinere ausgestanzt worden, so dass sich Voll- und Halbmond zeigten. Eine runde Sache...
Der nächste Gang begann mit einem Rosé aus der Provence, Château Roubine.
Was auf dem Teller folgte, war ein Hammer. Einer der handwerklich besten Gänge dieses Jahres bis heute.
Eine Perlhuhnrolle, gefüllt mit Taubenbrust und einer Farce von der Taubenkeule. Gegart in einem Schweinenetz (frz. crépine), daher Crépinette. Hohe Küchenkunst! Das Fleisch saftig und voller Geschmack, beide Geflügel konnten nebeneinander und miteinander bestehen. Schon beim Einsetzen verwöhnte der Duft von Tonkabohne aus dem Soßenspiegel. Dazu der himmlische Knusper von der Hühnerhaut. Der Couscous mit Gewürzen und Kräutern ging in die orientalische Richtung. Weiße Rübchen gehobelt und im Stück sollten für Regionalität sorgen. Dieser Ansatz zeigte sich noch auf anderen Tellern und es gibt Argumente dafür und dagegen. In der Ausführung waren die Blöcke doch zu groß geraten und daher für mich etwas zu plump. Das geht eleganter. Trotzdem werde ich mich lange an diese exquisite Roulade erinnern. Apropos exquisit: Die Taube war als effilée angekündigt und meine rudimentären Französisch-Kenntnisse ließen mich völlig im Stich. Nun bin ich schlauer, effilieren bezeichnet das Entfernen des Darms ohne Aufschneiden des Tieres und soll u.a. eine hohe Bakterienfreiheit sicherstellen. Der Saftigkeit dürfte es auch zugute kommen. Kannte ich bisher nur von großen Fischen, die im Ganzen gebacken werden. Ich habe zu wenige Tauben gegessen, um einen Unterschied zu bemerken, zumal in dieser speziellen Zubereitung. Ich nehme es als besonderen Qualitätsanspruch der Küche und das Ergebnis war ja grandios.
Allerdings kann ich jetzt Frau Frymark besser verstehen, die auf meine später am Abend gestellte Frage, ob ein Stern das Ziel sei, leicht zweifelnd erwiderte, dass die Herrn in der Küche es gerne hätten. Der Wareneinsatz dürfte schmerzlich sein...
Nun ging es vegetarisch weiter. Aber erneut sehr erfreulich. Den Ziegenkäse gab es einmal frittiert und einmal als Rolle geflämmt in einem Mantel aus Tomatengelee. Gut ausgedacht, noch besser ausgeführt. Weitere geschmacklich überzeugende Texturen der Urtomate. Bis hierhin auch sehr gut. Schließlich Fenchel als durchaus feine Crême und eine sous vide gegarte, aber erneut viel zu große Scheibe. Der Gast ist nicht der bessere Koch, jedenfalls versuche ich danach einzukehren. Aber z. B. ein gebackenes dünnes Segel hätte mich sehr gefreut. So war es wieder aus der zu groben Abteilung.
Toll dazu der 2013er Chardonnay Löwengang von Alois Lageder aus Südtirol.
Und erst recht der folgende Moselriesling. Piesporter Goldtröpfchen, Jahrgang 2005 aus dem Hause von Kesselstatt. Von diesem VDP-Weingut sind für echte Aficionados sehr viele Flaschen auf der Karte, teilweise etliche Jahrgänge nur von einer Lage. Es mag hier wirtschaftliche Verbindungen zur Familie Reh geben. Den Rieslingfreund freut es jedenfalls.
So, wie mich auch der saftige Seeteufel mit (gelber) Curry-Panko-Kruste erfreute, getopt von einem Schaum (der erste, variatio delectat!) von Brunnenkresse (wohl mehr als farbliche Ergänzung gedacht). Das Sanddorn-Risotto war ein perfekter Begleiter zum Fisch und gleichermaßen zum Curry. Sehr schlau ausgedacht, so etwas freut mich ungemein. Da sah ich dann über den ein wenig festen Reis gern hinweg. Den regionalen Part (nicht nur geschmacklich überflüssig, es gab doch schon Brunnenkresse) spielte hier rote Beete, immerhin in Brunoise und daher feiner dosiert.
Ich hatte wie meist gebeten, die Gänge ohne Pause abzurufen. Wegen der Gesellschaft zog es sich nun doch etwas hin. Meine Gastgeberin löste das ebenso charmant, wie geschäftstüchtig und bot mir eine Führung durch das Haus an. So konnte ich die klare skandinavische Linie des Hotels mit Einbindung ansehnlicher älterer Ausstattung ebenso in Augenschein nehmen, wie ein weiteres Prachtstück. Der Rittersaal im 1. Stock ist für große Feiern und Empfänge gedacht und wie alles hier 1a renoviert. Die ganze eichene Kaiserherrlichkeit ist schon pompös, aber Malle ist bekanntlich nur einmal im Jahr...
Ich meldete mich dann innerlich vom Generalstab ab (An den Wänden aufgehängt. In Öl.) und wurde am Platz zwar nicht mit einer neuen Serviette, aber einer Erfrischung in Form eines leicht bittrigen Kumquatsorbets mit Minze und Blüten vom Hornveilchen empfangen. Well done.
Das folgende Kalb wurde als wunderbar mürbes Filet (fast noch saignant), mit Holunderlack und Pistazie gepimpt sowie in Form eines sehr intensiven Bäckchens mit nicht übermäßig hohem Collagenanteil angeboten. Zweimal Fleisch, zweimal Wein! Zum Kurzgebratenen einen Riesling aus der Pfalz, Wachenheimer Böhlig 2011 "Premier Cru" von Bürklin-Wolf, der für meinen Geschmack nicht so richtig gut funktionierte. Umso besser der 2007er Ahr-Spätburgunder von Spezialist Nelles zum Geschmorten. So weit, so sehr gut. Heimlicher Star waren für mich die Pommes Anna, die hier so fein und knusprig wie milles feuilles und herrlich gebräunt daher kamen. Kartoffeln in Vollendung! Einige Pilze (Enoki oder Birkenpilz) waren putzig geschichtet und die Abteilung regional war durch angenehm gegarte, schmackhafte, wohl glasierte gelbe Rüben vertreten. Etwas konventioneller in der Anlage (aber Holunderlack!), indes perfekt ausgeführt.
Es wurde ein Pre-Dessert gereicht. Rhabarber mit Kefircreme war recht sauer, was aber durch Honig und Minze noch gut eingefangen wurde. Neu war für mich Kerbel als weitere Zutat, was mit dem Rhabarber toll harmoniert hat. Die Kleckserei mit Gel ist aus der Mode gekommen, hier sieht man auch, warum. Mit kräftig sauren Noten habe ich so meine Schwierigkeiten, was sich insbesondere der super sympathische Schwabe Benjamin Biedlingmaier in Dresden (Caroussel) immer anhören muss. Dafür hat's mir hier ganz gut geschmeckt.
Zum Dessert gab es nochmal die volle Sonne ins Glas. Als bekennender Süßweinfetischist labte ich mich an der 2007er Juffer Sonnenuhr Spätlese, nicht vom Hausweingut von K., sondern von Fritz Haag. Als Dreingabe einen Eisapfel von Jörg Geiger, eine echte Alternative für die nächste Fastenzeit.
Warum Apfel? Weil sich der ominöse Pommersche Krummstiel als alte Rügener Sorte entpuppte. Sowohl zu hellem Mousse verarbeitet und mit einer roten Gelee-Schicht (vermutlich aus der Schale) wieder in die ursprüngliche Form gebracht. Als auch als Eis, das mit (leider etwas wenig) altem Balsamico formidabel begleitet wurde. Und schließlich ein Kompott, das mit Buchweizensand gut harmonierte. Hier fehlte etwas die Finesse anderer Gänge, das Handwerk war aber wieder von erster Güte.
Ein Kaffee verbot sich zu später Stunde. Aber den P.X. von Xímenes-Spinola hatte ich ja schon beim Hereinkommen gesehen. Das Gläschen rundete den Abend perfekt ab, wenngleich mit 15,5€ doch stramm bepreist. Man bedauerte, dass Petit fours noch nicht verfügbar seien. Um dann weiße Trüffel mit Wasabi und mit Lakritz zu "improvisieren", obendrein Makadamia in Salzkaramell. Wow!
Es hätte dieses abschließenden Kicks nicht bedurft, um zu merken: Hier konnten mit Holger Mootz und Ronny Bell zwei Könner wieder in Richtung Ostsee gelotst werden, die schon gemeinsam in den Märkischen Stuben Gäste und Kritik überzeugten. Und jetzt als gleichberechtigte Chefs eine Küche verantworten, die ebenso professionell wie kreativ ist, was bei den Neuerungen gegenüber nicht eben aufgeschlossenen Mecklenburgern besondere Überzeugungskraft verlangt. Beide scheuten sich auch nicht, an den Tisch zu kommen und in die Diskussion über den Sinn des Regionalen in dieser klassisch angelegten Küche zu gehen. Und den kritischen Bremer weit nach Mitternacht zur Verabschiedung noch in die Küche zu lassen, passte perfekt zum freundlichen Team des Uhle und zu diesem so wunderbaren Abend.
Für das schöne Schwerin heißt es von mir (und für mich) endlich:
Kommen! Probieren! Genießen!