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Da gehörte das Radfahren zum Wochenende wie das Weizenbier zum Daueresser oder der Meursault zum Rezensionsliteraten von der Weser. Und so kam es, dass ein guter Kollege, der als Präsident dem wohl berühmtesten Schlemmerclub von ganz Wörth vorsteht, zusammen mit mir eine Radtour nach Speyer unternahm. Es war Samstag, das Wetter traumhaft und mit dem Regio-Express ging es zunächst vom heimischen Steinweiler in nördlicher Richtung nach Maikammer, dem Startpunkt für unserer Unternehmung.
Dank topfebenem Gelände und unterstützt von leichtem Rückenwind ließ sich die geschichtsträchtige Domstadt am Rhein in angenehm leichter Radelei erreichen. Ein kleiner Rundgang im Kaiserdom wurde gleich nach der Ankunft getätigt. Dann ging es über die Flaniermeile in Richtung Altpörtel, wohlwissend, dass sich gerade hier auch das kulinarische Epizentrum der ehemaligen freien Reichsstadt des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation befindet.
Über 100 gastronomische Einrichtungen sollen laut einem bekannten Online-Reiseratgeber in dem ca. 50 000 Einwohner zählenden, zu den ältesten Städten Deutschlands gehörenden Mittelzentrum beheimatet sein. Das da was dran ist, merkt man bereits nach ein paar Metern auf der von Touristen, Kaufwütigen und sonstigen Flaneuren reich bevölkerten Maximilianstraße, der legendären „Via Triumphalis“.
Um uns den Slalom durch die Menschenmengen zu ersparen, schlossen wir unsere Räder in der Nähe des Kaiserdoms ab und schlenderten den Rest ganz gemütlich zu Fuß. Mein Kollege hatte das Restaurant „Zur alten Münz“ im Visier, das wir das letzte Mal vor gut drei Jahren mit unserem Wörther Futterverein besucht hatten. Doch dort war der komplette Außenbereich mit Freunden der besserbürgerlichen Hausmannskost besetzt. Und einen Tisch im Inneren wollten wir bei dem schönen Wetter eigentlich nicht in Betracht ziehen. Aber letztlich mussten wir nehmen was kommt, denn wir hatten nicht im Vorfeld reserviert.
Beim Blick hinüber in Richtung St. Georgs-Brunnen trauten ich meinen Adleraugen kaum. Ein Tisch war auf der wesentlich kleineren Terrasse des Goldenen Hirschen gerade frei geworden. Da hieß die Devise: schnell handeln. Kurz darauf – wir konnten unser Glück immer noch nicht so recht fassen – saßen wir am ersten Platz direkt vor der Fassade des historischen Wirtshauses, in dem schon seit 1890 (Sachen gibt’s…) ausgeschenkt und aufgetischt wird.
Mittlerweile haben hier – genau wie in der benachbarten „Alten Münz“ – ungarische Betreiber das Sagen. Diese scheinen einen richtig guten Job zu erledigen, mag man den vielen sehr guten Bewertungen auf Tripadvisor Glauben schenken. Knapp 200 Mal wurde auf diesem Portal das Prädikät „ausgezeichnet“ vergeben. Das hat dem Lokal im Herzen von Speyer die Pole Position eingebracht, noch vor der Weinstube Rabennest und dem Le Cyclo (vietnamesischer Laden, die ich auch schon bei GG rezensiert habe, Anm.).
Auf dem Tisch lag eine vorbildlich laminierte Extrakarte mit den Wochenempfehlungen, die den kulinarischen Herbst einläuteten. Kastaniensaumagen, Herbstsalat (mit gegrillter Entenbrust) und Hirschgulasch mit Kürbiskartoffelpüree – da klang ja ein Teller saisonaler als der andere. Auch eine Weinempfehlung wurde darauf ausgesprochen. Ein trockener Sauvignon Blanc vom Weingut Mussler aus Bissersheim, das mit seiner lauschigen Vinothek im Grünen für entspannte - sorry „gechillte“ muss es ja heißen - Sommerweinerlebnisse sorgt, wurde offen ausgeschenkt.
Direkt neben mir hing eine Schiefertafel mit weiteren Anregungen für den stabilen Esser an der Hauswand. Der klassische Pfalzteller mit dem schweinernen „Trio Rustico“ (Saumagen, Bratwurst und Leberknödel) wurde hier althergebracht mit Riesling-Sauerkraut, Bratkartoffeln und Bratensoße serviert. Auch mit einem Cordon Bleu mit Pfannengemüse, Pommes und Beilagensalat wurde geworben.
Die Servierbrigade hatte zwar auch im Gastraum einiges zu tun – dort ließ es sich eine größere Gesellschaft an einer langen Tafel so richtig feierlich gehen –, war jedoch keineswegs mit dem Andrang auf der komplett besetzten Terrasse überfordert, sondern wirkte sehr präsent und bei all dem Betrieb nicht gehetzt oder genervt.
Schön, wenn Bedienungen trotz der Hektik des Tagesgeschäfts noch Zeit für ein Lächeln oder ein paar nette Worte finden. Das wirkt professionell und nimmt dem Ganzen auch den Anschein jeglicher Abfertigungsgastronomie, wie man sie in touristischen Hotspots leider nur allzu häufig vorfindet. In der Speyerer Maximilianstraße gibt es bestimmt solche Adressen. Der Goldene Hirsch gehört da definitiv nicht dazu.
Zuerst musste der akute Verdurstungsprozess unterbrochen werden. Für einen der Radler gab’s dann auch einen Radler. Und zwar einen wohlgezapften Schoppen für kleinstädtische 4,20 Euro. Für das gleiche Geld ließ sich mein Kollege, der seit ich ihn kenne eine wenig nachvollziehbare Alkoholimmunität vorweist, einen halben Liter Johannisbeerschorle kommen. Die erfrischenden Durstlöscher wurden flott serviert. Mit der Essensentscheidung dauerte es bei uns ein wenig länger.
Schuld daran war das übersichtlich gestaltete, aber dennoch völlig ausreichende Angebot an zumeist fleischlastigen Gerichten gutbürgerlicher Prägung. Für Freunde des argentinischen Rinds wurden ein 300 Gramm schweres Rumpsteak sowie Ochsenfetzen nach Stroganoff-Art offeriert. Schweinefilet-Filous und Schnitzelschergen kamen selbstverständlich auch auf ihre Kosten. Auch waren in der Karte erfreulich viele Salatvariationen gelistet. Die Speyerer Flaneure mögen es halt gerne leicht.
Die offen ausgeschenkten Weine bezieht man hier primär vom bereits erwähnten Weingut Mussler aus Bissersheim. Bei den Weißweinen aus der Flasche darf es dann auch mal ein guter Tropfen von Bassermann-Jordan aus Deidesheim sein. Mit einem Rioja von Ugarte (25 Euro die Flasche) war auch ein preisgünstiger „Exot“ (bezieht sich nur auf die dortige Weinauswahl) vertreten.
Für mich als bekennenden „Wein-Paten“ mit jeder Menge Tinto im Blut natürlich ein Angebot, was ich kaum ablehnen konnte. Aber leider musste. Denn die Heimreise auf dem Drahtesel stand mir ja noch bevor. Naja, vielleicht beim nächsten Besuch, wenn die liebe Gattin den Wagen nach Hause lenkt.
Ach ja, gegessen haben wir dort natürlich auch. Beide entschieden wir uns für fleischliches Bratwerk fritteuser Prägung. Mein Kollege orderte frohgemut das Cordon Bleu von der Schiefertafel (15,90 Euro), das laut Speisenkarte aus Hähnchenbrustfilet zubereitet wurde. Auf der Tafel stand davon nichts geschrieben und das Kleingedruckte aus der vorschriftsmäßig laminierten Speisefibel hatte er wohl überlesen. Um es gleich vorweg zu nehmen: es blieb das einzige kleine kulinarische Manko unseres Mittagsmahls.
Ich hatte mich für das Schnitzel „Wiener Art“ (14,80 Euro) erwärmt, welches mit einer Champignonrahmsauce, einer überschaubaren Menge an Pommes frites sowie einem frischen Beilagensalat aus der Küche getragen wurde. Beim Kollegen kamen noch Pfannengemüse und ein Knoblauch-Dip hinzu. Pommes und Salat waren auch bei seinem Hähnchen-Cordon-Bleu im Preis inkludiert.
Das knackige, mit ordentlich Rohkost verfeinerte Blattgrün machte wie üblich den Anfang. Dem Hausdressing fehlte es nicht an zupackender Essigsäure, was mir bei einem Salatteller eigentlich immer gut gefällt. „Da machste nix falsch!“, würde ein dalai-lamaesker Genussgeselle aus Bremen an dieser Stelle anmerken. Genauso sah ich das auch.
Beilagensalat
Nach der üblichen, einem durch das Hungergefühl immer etwas länger vorkommenden Wartezeit, wurden uns die stattlichen Prachtexemplare serviert. Mein Schweineschnitzel gefiel mir in seiner Panaderolle ausgesprochen gut. Sein zart geklopftes Inneres war von einer knusprigen Brösel-Hülle eingefasst. Zwischen der leicht soufflierten „Wiener-Haut“ wartete ein gut gewürztes, ehrliches Folklorestück, das von seiner Größe her schon eher an den guten Esser adressiert war. Kalorien, die ich für den heimwärts führenden Rheinradweg gut gebrauchen konnte.
Die auffallend helle Champignonsauce hatte sichtlich viel Rahm abbekommen, was sie jedoch nicht per se unter den Verdacht des „Totsahnens“ stellte. Scheinbar entstammte die Basis einer kräftigen Jus, bei der zumindest keine offensichtlichen Hilfspülverchen zum Einsatz kamen. Sie war harmonisch abgeschmeckt – der etwas abgedroschene Ausdruck „rund“ trifft es wohl am Ehesten – und allein schon wegen ihres Sahnegehalts ein handfester Beiguss. Ins kulinarische Langzeitgedächtnis brannte er sich dennoch nicht ein.
Das schweinerne Stück vom Glück
Mein Tischkumpan lobte das auf Biss gebratene, mediterrane Pfannengemüse. Sein Knobi-Dip kam aus dem Spritzbeutel und zierte in generöser Portionierung ein Chicorée-Blatt.
Don't judge a Cordon Bleu by its Panade...
Den Hähnchen-Fauxpas bemerkte er erst beim Anschnitt. Nun gut, wenigstens die saftige Schinken-Käse-Füllung rettete ihm die gutbürgerliche Laune. Die Pommes waren guter Standard und kamen mit ausreichender Salzwürze auf den Teller.
Ja gut äh...Hähnchenbrust...wer hätt denn des wissen solln?
Summa summarum waren das zwei ordentliche Hausmannsgerichte, die unserem Hunger deftig die Stirn boten. Keine lieblose Husch-Husch-Küche, wie man sie in so mancher Touri-Klause gerne vorgesetzt bekommt, sondern eine schnörkellos gekochte, äußerst sättigende Herdleistung der liebenswerteren Art.
Das gutgelaunte Speyerer Bürgertum hat den Goldenen Hirsch auf den ersten Platz „getripadvisort“, sicher nicht ahnend, dass ihre Domstadt noch ganz andere gastronomische Schätze versteckt hält. Aber „Clyne“, „AvantGarthe“ oder der „Alte Engel“ sind eben auch keine Restaurants auf der touristischen Prachtmeile, sondern etwas abseits des Mainstreams beheimatete Genusstempel, die den ambitionierteren Kostgänger ansprechen wollen.
Einen solchen traf ich übrigens ein paar Wochen später im besagten „Alten Engel“. Aber das ist eine ganz andere Geschichte…vielleicht erzähl‘ ich sie euch mal ;-)