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"Von Sternenlicht und Schattenspielen"
Geschrieben am 29.03.2017 2017-03-29 | Aktualisiert am 20.09.2017

"Essen wie Gott in Frankreich !! Rotzunge aus Island an Zimtschweinebauch ..."
Geschrieben am 11.02.2015 2015-02-11 | Aktualisiert am 12.02.2015

"Das war es dann..."
Geschrieben am 27.06.2016 2016-06-27 | Aktualisiert am 27.06.2016

Das Urgestein hat den Wechsel vom Pfälzer Tausendsassa Benjamin Peiffer zum Österreicher Fritz Braumüller insoweit gut überstanden, auch der Stern strahlt weiterhin über dem Steinhäuser Hof nahe dem Neustädter Marktplatz. Bei meinem Besuch im letzten Herbst war (mir) das noch nicht so klar.
Nicht nur die scheinbar überforderte Elektroanlage des Hauses verursachte einige Male irritierendes Flackern. Und nicht nur die sehr kleinen Lichtkegel der stylische Hängelampen führten zu einem deutlichen Wechsel von sehr hellen mit eher schattigen Bereichen auf dem Tisch. Fotografisch, aber auch sensorisch hat mich das etwas gefordert.
Wie übrigens auch der herbe Unterschied zwischen Sterne-Restaurant und angeschlossenem Hotel oder besser dem Gasthof. Ist dieser zwar sauber und vollständig eingerichtet, so doch arg in die Jahre gekommen. Das Angebot eher einfach (auch preislich, das schon), was leider auch für das Frühstück galt. Eine Abfuhr beim Wunsch nach einem Spiegelei hatte ich mir länger nicht mehr eingehandelt. Die beiden offensichtlich auf Montage befindlichen Herren im Gastraum waren allerdings zufrieden. Eine Übernachtung auf gutem Pensions-Niveau ist wahrlich kein Beinbruch, aber wissen muss man es halt, dass sich das Angebot nicht unbedingt an den Gästekreis der Sterne-Schlemmer richtet. Jedenfalls noch nicht, eine Modernisierung ist aber wohl geplant.
Die haben die Waschräume gerade hinter sich und zwar sehr gelungen. Sandsteinelemente, hochglanzpolierten Steinplatten, Tapeten und spiegelndes Glas in edlem Schwarz. Alles perfekt und hochwertig bis zu den ebenfalls schwarzen, flauschigen Handtücher. Selten so stylish ... öhm.
Auch das Restaurant gefiel mir durch eine gelungene Kombination aus alt und neu.
Für mich war eine halbrunde Ecknische reserviert, von der ich einen guten Blick durch das beeindruckende gemauerte Kreuzgewölbe mit den Sandsteinsäulen hatte, das bis ins 13. Jahrhundert zurückreicht.
Die medusenhaften modernen Lampen mit LED schaffen dazu ebenso einen modernen Gegensatz, wie die teilweise ausgeleuchteten Nischen mit zeitgenössischer Kunst. Insgesamt dominieren mit Bronze und Braun die aktuellen Wohlfühlfarben. Die Backsteine der Decke kontrastieren dazu angenehm rau. Der Raum wird durch eine große Barinsel unterteilt und eine kleine Bühne seitwärts weist auf die regelmäßigen musikalischen und gesellschaftlichen Events hin. Viel aus dem Gewölbe gemacht!
Vor den mit großzügigem Abstand gestellten Tischen warten hinreichend bequeme, lederbezogene Stühle und Bänke auf Besetzung. Auf den doppelten weißen Tischtüchern ist eher zurückhaltend mit einem Satz Besteck, Wasser- und Weinglas sowie Brotteller und -messer vorbereitet. Eine einfach gefaltete Leinenserviette komplettiert das Gedeck. Erfreulich wenig Schnickschnack auf dem wohl für vier Gäste vorgesehenen Tisch. Neben zwei undefinierbaren plumpen Kieseln im Glitzer-Look nur das obligatorische Grablicht. Die einzelne schmale Hängelampe schafft in der Tischmitte einen scharfen Lichtkreis. Am Rand, wo der halbwegs kultivierte Mensch gemeinhin sein Geschirr platziert, herrscht allenfalls trübes Halbdunkel (und schon ist man sogar für ein Teelicht dankbar). Selbst ohne Fotoambitionen hätte ich die Teller nach dem Servieren zunächst ins Licht geschoben, damit überhaupt erkennbar wird, was die Küche anbieten will. Später wurde vom Service gleich in die Tischmitte platziert. Nett, aber es zeigt das Dilemma des zweifelsohne so gewollten, höhlenartiges Lichtkonzepts
Die Musik war stimmig, Swing, smooth Jazz und sogar ein wenig Funk.
Immerhin, der Service war nahezu perfekt. Als Gastgeber fungierte Tanel Idil, der mich stets aufmerksam, freundlich, engagiert und fachkundig betreute. Höflich, aber nicht zu distanziert. Man kommt sofort ins interessante Gespräch. Auch zu den ausgeschenkten Weinen und deren Winzern hatte der nach eigenen Angaben Pälzer Bu (völlig unglaubwürdig, angesichts des guten Hochdeutsch...;-)) stets eine ausführliche Geschichte parat. Einer, der brennt - das überzeugt! Der Auszubildende des Hauses agierte ebenfalls schon gekonnt und höflich wie auch Chef Braumüller, der sich mit den Petits fours an den Tisch bemühte. Kritik wurde allerdings weitgehend schweigend aufgenommen, aber das kann ja auch ein Zeichen von Nachdenken sein.
Der Service hatte viel Zeit für mich, war am Abend doch nur noch ein lebenserfahrenes Paar anwesend, das mit dem Team gut bekannt oder verwandt schien und häufig direkt aus der Küche bedient wurde. Herr Idil führte den mauen Besuch auf das tags zuvor zu Ende gegangene örtliche Weinlesefestival zurück, von dem sich die Einwohnerschaft erst erholen müsse.
Nach diesen wenigen einleitenden Worten zurück zum eigentlich Grund meines Besuchs:
Bei einer Sektcuvée "Louis" (9€) aus Auxerrois, Schwarzriesling und Chardonnay, Lage Ruppertsberg von Andres&Mugler aus Maikammer
wählte ich das nur "tischweise erbetene" 5-Gang-Menü "Meilenstein" (aktuelle Gerichte, 120€) bestehend aus:
Gebeizte Forelle
Meeräsche
Bretonischer Hummer
Knusprige Blutwurst
(zusätzlich aus dem Klassiker-Menü "Grundstein", 15€)
Rehrücken
Weiße Schokolade
Ungewöhnlicherweise wurden auch die Küchengrüße schriftlich angekündigt:
Überzeugt hat unter den Amuses am meisten die Komposition aus zurückhaltendem Kalbstartar und deutlicher Crème vom Räucheraal.
Der Reis-Chip gefiel mit sehr feinem Crunch und die grünliche Lauchasche steuerte ungewohnt herbe Noten bei.
Das geräucherte Rindermark mit Pilzwürfeln war ebenfalls so recht nach meinem Geschmack.
Auch das heiß servierte Brot
aus Urgetreide - u.a. Dinkel, Quinoa und Kümmel - konnte zusammen mit der gebrannten Nussbutter
gefallen.
Dagegen war der Sauerkrautmacaron in Form eines Bachkiesels aus mit Sepiatinte gefärbtem Tempurateig
- eigentlich eine schöne, kreative Hommage an die Forelle - adstringierend bis knapp vor die Ungenießbarkeit und vergällte so auch den Genuss des guten Fischs. Nicht mal die Kartoffelscheibe konnte die Säure einbinden.
Das feinstückige Garnelentartar am Lollistick
war geschmacklich präsent und von sehr angenehmer Knusprigkeit. Bei der begleitenden Tomatenessenz - mit dickem Trinkhalm aus dem Glasfläschchen - zog es sich wieder unangenehm zusammen. Wenigstens lenkte das etwas von den Schmerzen ab, die die viel zu heiße Suppe punktgenau am Gaumen verursacht hatte. Da mir ebendieses auch in Karlsruhe passierte, nehme ich mal an, dass es sich um eine Südwestspezialität, das sog "Verbrüherle" handelt...
Dazu ein ausgewogener Riesling von Bergdolt aus Neustadt-Duttweiler. Ich nehme mal an, vom Klostergut. Wer weiß schon als Außenstehender die familiären Verzweigungen der Winzerdynastien zu durchschauen.
Wegen des beruflichen Termins am nächsten Morgen setzte ich dann mit der Weinbegleitung bis zum Dessert aus.
Der erste Gang griff optisch die Erwartungshaltung an eine langjährige, nicht avantgardistische Sterneküche auf.
Kein Kessel, aber ein Teller Buntes in diversen Aggregatzuständen sollte Auge und Gaumen erfreuen. Die Präsentation ist erwähnenswert, weil es der einzige Teller blieb, der noch mit "Sternechichi" (aka Aufwand beim Anrichten) aufwartete. Hernach war doch vieles zeitgeistig geschichtet oder eher lieblos nebeneinander platziert.
Es versammelten sich also - erneut, hm - die wunderbar zarte, durch die Beize würzige Forelle mit ihrem Kaviar und als Begleiter Schafsmilchjoghurt und Gurke von Gel über Granité bis hin zu recht großen Stücken. Für den Crunch sorgte Buchweizen, der als gepoppt angekündigt war, mir aber nur geröstet schien. Leider war auch hier einiges schiefgegangen. Zum einen der Buchweizen, der so hart blieb, dass ich einzelne Körner aus Sorge um die Unversehrtheit des Kauapparates gar nicht zu zerkleinern wagte. Unangenehmer noch die wiederum viel zu starke Säure, hier in den Gurkenstücken. Irgendwann hatte ich dann heraus, welche zarte Scheibe abgeschnitten für ein harmonisches Gesamtbild sorgte. Da war der Teller aber auch schon durch die vorherigen, missglückten Experimente weitgehend geleert. Außerdem bin ich doch nicht das Versuchskaninchen der Küche.
Zu diesem Zeitpunkt befürchtete ich bereits einen kulinarisch eher unerfreulichen Abend.
Zum Glück konnte sich die Küche steigern, zum Teil deutlich.
Auch im zweiten Gang "kalter Fisch"
Die rohe Meeräsche erfreute mich mit schon gleich mit ihrem Anklang an japanische Küche. Verstärkt wurde das durch die Verwendung ihres Rogens, diesmal in der Bottarga-Variante, als karasumi ist das ebenfalls eine japanische Delikatesse.
Dem kräftigen Fisch standen Tatar von Stangen- sowie gehobelte Scheiben und Crème von Knollensellerie gegenüber. Als "Verbinder" wurde à part ein confiertes Eidotter gereicht (ohne Foto).
Ich sach getz mal: Schmackiger Babybrei für Feinschmecker...
Gegen übliche Gewohnheiten kam nun (im Menü genauso vorgesehen) der dritte Meeresbewohner auf den Tisch (eine Suppe dagegen in beiden Vorschlägen Fehlanzeige).
Der bretonische Hummerschwanz in Nussbutter erschien in "Haufenoptik"
und war etwas trocken. Nicht die erhoffte 1a-Qualität. Viel Spaß bereitete der mit Limone und Zitronengras endlich einmal elegant, weil fruchtig-säuerlich aromatisierte Spitzkohl. Aus der Heimat des Chefs grüßte eine Knödelrolle und die Grieben waren knusprig und vor allem nicht zu salzig. Ob allein daraus die über drei Tage eingekochte dickflüssige Jus entstand, kann ich nicht sagen. Umami - ick liebe dir! Überraschenderweise funktionierte diese Kombi von Surf'n'Turf ausgezeichnet.
Der Umstieg auf Fleisch ergab dann zwei knusprig gebackene Ravioli aus Roggenteig mit Blutwurstfüllung
die leider nur schwach zu schmecken war. Insofern war das Bett aus roh mariniertem Fenchel und insbesondere die klasse Apfel-Fenchel-Sauce mit Cayenne und Zimt viel interessanter. Und das, wo doch Fenchel und Zimt einst zu meinen kulinarischen no-gos gehör(t)en. Insgesamt respektabel, aber ich hatte mir besonders von der boudin noir wesentlich mehr versprochen.
Vor dem Hauptgang als Erfrischung kein Sorbet, das gab schon mal einen Pluspunkt.
Und Wow!
Ein kleines Meisterwerk: Falscher Marshmallow von der Calamansi mit einem Camparigelee-Topping. Wow! Säure - Frucht - Bitterkeit. Wow!
So aufgeweckt, wandte ich mit dem Laguiolemesser dem Hauptgang zu, zweierlei vom Rehrücken
Kurz gebraten perfekt rosa, ein zarter feiner Wildtraum. Die geschmorten Teile leicht trocken, halt ein sehr mageres Stück. Die Sauce riss hier aber wirklich einiges raus, über 4 Tage reduziert (das mit dem Tage-Gedöns geht mir zwar etwas auf den Wecker. Jeder kann noch länger, so à la Mein Auto, mein Haus, meine Pferdepflegerin! Aber das Ergebnis ist immer zum Reinlegen. Hier mit Zimt, Anis und Schokolade noch auf ein höheres Level gebracht. Also Saucen kann er, der Herr Braumüller!). Auch die Beilagen waren wohlfeil und veredelt: Gerupfte Petersilie blanchiert und frittiert. Püree aus der Inneren der ausgekratzten Ofenkartoffel, Pulver aus ihrer Schale. Beides mit wuchtigem Rauchgeschmack. Und sehr kleine, sehr feine, doch leider sandige Pfifferlinge. Das sollte auf diesem Niveau vermeidbar sein, musste die Küche doch wohl kaum bei diesem Gästeansturm auf Overload gehen. Trotzdem ein sehr guter Gang und die Sauce extraordinär. Optisch auch ganz ok.
Mal eine der seltenen Gelegenheiten, bei der ich ein Dessert wählte, Käse war aber auch nicht im Angebot.
Vom weißen Pfirsich ein Sorbet und Geleeplättchen, die eine Rolle von weißer Schokolade ummantelten, eher fester Pudding, als Mousse. Chips von der weißen Verführerin und vom kräftigsten Mitspieler Cassis, der auch getupfte Creme beisteuerte. Schließlich noch Crumble von schwarzer Schokolade als leicht bittere Komponente.
Alles in allem gut, aber für mich auch nicht mehr. Da ist noch Luft bei der Patisserie, was auch für die nach meiner Meinung recht simple Präsentation gilt. Gerade beim Dessert bin ich da eigentlich schon mal zu begeistern.
Am ehesten in diese Kategorie fiel hier die perfekt begleitende 2011 Weißburgunder Beerenauslese (7€) von Winzer Seeber, der laut Herrn Idil in der Region eher unter Wert gehandelt wird.
Der Abend schloss bei den Speisen mit einer Limonenmousse auf Mürbeteig und einer extra gereichten Caipicreme
die der sympathische Chef persönlich an die Tische brachte. Nicht ganz so toll, wie die Calamansi-Campari-Bombe, aber trotzdem ein netter Rausschmeißer.
Mein Wunsch nach etwas Süßem auch in flüssiger Form wurde mit einem T-R-O-P von Winning erfüllt, Pinot Noir auf 17,5% gespritzt, sehr freundlich auf Kosten des Hauses! Hat geschmeckt, aber die Leute, die den P-O-R-T machen, haben eben doch 300 Jahre Vorsprung...
Zwar voll, aber nicht vollends zufrieden, stieg ich die knarrende Treppe zu meinem großen und recht hellhörigen Zimmer hinauf. Der zurückliegenden Abend hatte für mich zu viel Wechsel zwischen Auf und Ab gehabt. Vielleicht waren das auch Startschwierigkeiten. Denn auch für erfahrene Köche ist aller Anfang auf unbekanntem Terrain schwer.
Und der Stern hat die Flackerphase ja schlussendlich gut überstanden.