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GastroGuide-User: DerBorgfelder
DerBorgfelder hat Savu in 10709 Berlin bewertet.
vor 5 Jahren
"Mailand oder Madrid - Hauptsache Mannerheim!"
Verifiziert

Geschrieben am 09.02.2020 | Aktualisiert am 09.02.2020
Besucht am 13.10.2019 Besuchszeit: Abendessen 1 Personen Rechnungsbetrag: 142 EUR
Nee, nee, nicht die Heimat des Daueressers ist hier falsch geschrieben, sondern der finnische Militär und Politiker spielte eine gewisse Rolle bei meinem ungeplanten Besuch im SAVU, tief im Westen des Ku‘damm.
Eigentlich war ein spontaner Besuch im Christopher’s, dem ehemaligen Schwein in der Mommsenstraße angesagt. Allerdings fand an diesem Abend eine offene Promotionveranstaltung für Wodka und Champagner statt, die mit einem festen 4-Gang-Menü verbunden war. Das mag ich schon mal beides nicht. Also die Getränke schon, aber feste Gänge und dann nur 4 halt weniger... Obwohl ich freundlich herein gebeten wurde, ließen mich außerdem die vielen finster dreinblickenden Herren mit ihren sehr jungen, sehr langbeinigen Begleiterinnen zweifeln, ob ich wohlfühlen würde.

Also kurz im zu Fuß vielleicht 15 bis 20 Minuten entfernten SAVU angerufen und mich sehr über die außerordentlich freundliche Reservierungsbestätigung durch die junge Restaurantleiterin Lea Funk gefreut. Die Freude hielt den gesamten Abend an, denn egal, ob es die Begrüßung, der Garderobenservice, das Platzieren mit Blick in die Küche

(„Damit Ihnen nicht langweilig wird!“) oder andere Kleinigkeiten waren, immer war das echte Bemühen spürbar, mir einen angenehmen Abend zu bereiten. Die ebenso junge, fast genauso nette zweite Frau im Service blieb kaum dahinter zurück.

Das SAVU ist im Gebäude des kleinen, edlen Hotels Louisa‘s Place beheimatet 

und stellt wohl auch so etwas wie das Hausrestaurant für dessen zahlungskräftige internationale Gästeschaft dar. Das Haus ist mir von einem dreitägigen Aufenthalt mit Mutter und Gattin in guter Erinnerung geblieben; ich kann es nur empfehlen.
Vom SAVU gibt einen Durchgang zum Hotel, in dessen Treppenhaus sich auch die tadellosen Toiletten befinden. Eine wirtschaftliche oder weitergehende organisatorische Verbindung gibt es aber nicht. Gründer, Inhaber und Chefkoch ist allein der kulinarische Weltenbummler Sauli Kempaiinen, der nach Stationen in seiner finnischen Heimat, Spanien und Italien nun hier am Ku‘damm mit einer Mischung all dieser Erfahrungen 15  Punkte Gault Millau und etwas überraschend einen Stern erkocht hat.
Der sympathisch und offen wirkende Finne Sauli ist nicht nur durch die Glasscheibe beim Werkeln mit seiner ausschließlich männlichen Mannschaft zu beobachten; er bringt mehrere Teller selbst an den Tisch, erklärt diese selbstbewusst und legt auch letzte Hand mit der Pipette oder dem Siphon an.

Der recht große, quadratische Raum, in dem an diesem Montagabend nach und nach sechs oder sieben der sparsam gedeckten Tische besetzt wurden, ist durch mehrere Pfeiler strukturiert und wirkt auf den ersten Blick nordisch klar. 

Durch angenehmes Licht, viel blankes Holz und das dunkle Leder der Sitzbezüge habe ich mich aber durchaus wohl gefühlt. Es erklang entspannter Jazz, so soll die Stimmung hier auch sein - leger, nicht cool. Das Publikum war völlig gemischt; ein junges Paar wurde an den Hochtisch direkt vor der Glasscheibe zur Küche platziert, der hier als Chef‘s table dient.

Nach meinem flotten Spaziergang bestellte ich als Durstlöscher zunächst ein Pils. Auch außerhalb der Fastenzeit alkoholfrei. Weil. Ich. Es. Kann. Leider hatte ich nicht mit den wohl amerikanischen Gästen gerechnet, die ihr Bier offenbar sehr nahe am Gefrierpunkt lieben. Autsch! Naja, „wärmer“ wird’s von alleine; ich hatte keine Termine mehr. (Nach vier Stunden war ich tatsächlich der letzte Gast und wurde freundlich zur Tür begleitet. Manchmal muss der Service eben sicher gehen, dass der Pflock ganz durchs Herz getrieben ist...).
Der Preis von 5€ für 0,33l Allerwelts-Pils hätte mich warnen sollen, doch well chilled ging es an die Weinauswahl. Aber hallo? So eine seltsame Karte hatte ich bis dato noch nicht gesehen: Mehrere deutsche Anbaugebiete, Spanien und Italien jeweils mit drei bis vier Weißen. Alles andere so gut wie Fehlanzeige, sogar Frankreich völlig blank! Da staunte der Burgunderfelder und fragte vorsichtshalber nach. Ja, das sei so gewollt, erläuterte mir die nette Frau Funk. Man sei ein Restaurant in Deutschland und Sauli habe eben nur in Spanien und Italien die Weine kennen- und lieben gelernt. Und finnische Weine, haha. Halt das Konzept... Welches Konzept genau wurde mir auch gleich klarer, als doch mehrere Bordeaux’ im Bereich von 200€ bis 400€ in der Karte auftauchten. Oder es ist die alte spanisch-italienische Region Bordelais gemeint, kennen ja viele gar nicht mehr! Jedenfalls wunderte es mich überhaupt nicht, dass bei den verschiedenen Weißweingebieten jeweils eine, maximal zwei Flaschen unter 100€ kosteten, der Rest bzw. die Mehrzahl darüber, zum Teil heftig. Nur leider waren die niedriger bepreisten überwiegend „ausgetrunken“. So ein Pech auch. Meine Gastgeberin murmelte „Kartenwechsel“ vor sich hin, zauberte dann aber einen Gemischten Satz aus Tauberfranken zutage, der zwar auch mit dem 3,5 bis 4-fachen EK kalkuliert, aber mit 33€ immerhin bezahlbar war. Der gute Trinkfluss und die nette Betreuung dämpften meinen Ärger dann nach und nach, bis sich wieder meine gewohnt meditative Stimmung ausbreitete.

(Dass der erste Gang serviert wurde, während wir noch in Verhandlungen über den Wertheimer Alten Satz standen und auch das Brot gerade erst auf den Tisch gekommen war, war dem unter meinem Blick etwas nervös werdenden Service nicht anzulasten, zumal die Fünf von der weißen Brigade uns doch noch eifrig diskutieren sahen. Stress kann es angesichts des fast leeren Lokals auch kaum gewesen sein. Also Unaufmerksamkeit oder Ignoranz? *Kopfschüttel*)

Die ungewöhnlichen Aperos hatten zwischenzeitlich meine Laune weiter gebessert:

Ein süffiger Steinpilz-Schaumkuss war schneller genossen als geknipst. Auf Holzstäbchen einerseits ein ganz vorzüglicher Happen heiße Zitronen-Polenta mit Extra-Rauchmajo und andererseits Basilikum-Knusper, der der Küche leider zu hart geraten war.

Wieder zum Wohlfühlen die warme Steinpilzvelouté, 

deren voller Geschmack sogar die abgenudelte Präsentation des Grußes als Cappucino verzeihen ließ.

Der erste Gang beweist, dass die Fusion nordisch-spanisch-italienisch ernst genommen wird: Eismeergarnelen und finnisches Rapsöl wurden mit Chorizo, Taggiasca-Oliven, Piquillo und Ruccola aus Mallorca kombiniert. 

Die Krabben überzeugten mehr durch Geschmack als ihre mürbe Textur, das kräftige Öl im Zusammenspiel mit einer Emulsion aus der „scharfen spanischen Wurst“ machten das Gericht am Beginn schwer. Olive war als Sand verarbeitet und Chorizo-Chips sorgten für Crunch. Die Rauke in dünnen Streifen blieb mir als einziges „Grünzeug“ zu stark im Hintergrund, Frische fehlte. Was auch daran lag, dass statt Zitrusaromen der geräucherte Spitzpaprika eine Barbecue-Note einbrachte. Die Präsentation als Legostein kann natürlich als skandinavische Referenz gedeutet werden. Trotzdem: Keine Säure, keine Frucht, keine Schärfe. Ich war ein wenig überfordert bei dieser Instagram-tauglichen Leistungsschau, die mir als Opener zu schwer war.

Gut, dass jetzt Bekanntes kam, für das ich mir ausdrücklich etwas Zeit erbat. Im SAVU ist das Brot nicht Teil des Menüs, sondern wird mit 8€ berechnet, so man es denn bestellt. In Zeiten von no- und low-carb ganz vernünftig. Da mein 5-Gang-Menü mit 88€ im Vergleich der 1-Sterne-Restaurants eher günstig war, ist der Preis auch keine Beutelschneiderei, erst recht nicht für das gebotene Backwerk:

Das Knäcke war wirklich sehr knackig. Der weitgehend neutrale Teig ließ Dillsamen Raum; stark und nordisch, sehr lecker. Unterdurchschnittlich in dieser Auswahl das Focaccia mit unerwartet fester Krume und zu harter Kruste. Mein Favorit das saftige Gewürzbrot, bei dem Anis leicht die Geschmacksführerschaft hatte. Als Aufstrich 

aufgeschlagene Butter, sehr glatte, intensive Lachscrème sowie ein Trüffelricotta, dessen leicht „mehlige“ Konsistenz mir nicht völlig gefiel.

Es folgte eine Hummervelouté, die etwas dick geraten war. Am Tisch wurde Hummeröl mit Vanille aufgeträufelt, das im Weiteren immer mal wieder aufblitzte und daher nicht nur Show war.

Die Hummerfleischwürfel als Einlage waren qualitativ 1a. À part gab es eine gehäutete Mini-Tomate, vermutlich wieder als spanischer Twist gedacht. Passend empfand ich die fruchtige Säure nicht, eher schon den Fenchel als Chiffonade vom Stiel, Samen und Bronce-Zweiglein, ebenso wie über das exakt pochierte Wachtelei. 

Textur und Öl ergaben wieder einen recht schweren Teller für kalte Polarnächte. Andererseits brachte die mediterrane Ergänzung kaum Leichtigkeit, jedenfalls keine, die ich verstanden hätte.

Auftritt Marschall Mannerheim!
Als der ehedem zaristische General aus schwedisch-finnischem Adelsgeschlecht Anfang der 1920er gegen die Rote Armee kämpfte, brachte er aus Osteuropa ein Gericht mit, das am ehesten an Labskaus erinnert und seitdem das finnische „Seelengericht“ (Sauli Kemppainen) darstellt: Vorschmack!

Für die Variante des SAVU werden zunächst Lamm, Rind, Hering und Knoblauch traditionell 72 Stunden ohne Salz geköchelt, was eine nicht sonderlich appetitlich aussehende, aber unfassbar umami Masse ergibt. Für das Sterneküche wurden die weiteren Zutaten nicht untergemengt, sondern das Gericht dekonstruiert. Weiche, wohlschmeckende Kartoffel gekocht und als Mousseline, Essiggurken-Gelee und Crème sehr gut, dazu passte geflämmte Silberzwiebel. Frittierter Knoblauch knusperte schön und gab dem milden Poltiger Lamm-Schinken einen Kick. Rote Bete als Eis (endlich Temperatur!) war großes Kino! Der kleine Baiser einen Ticken zu klebrig und natürlich durfte Smetana, Schmand, nicht fehlen!
Für den authentischen (Show-)Effekt versprühte Sauli ein Holzteer-Aerosol - aber ich bin Stadtkind, wir haben elektrisch gekocht...
Erneut viel, viel los auf dem Teller, aber beim Vorschmack ging’s auf - man denke nur an russische Buffets: Bolschoi prazdnik!

Nach der Papierlage klang das letzte Fleischgericht wieder vertrauter: Beelitzer Maishähnchen und Estragon, Mais, Pistazie und Schokolade, dazu allerdings auch Schneckenschaum.

Soviel vorweg: Yummy!
Die gegrillte und confierte Brust war wunderbar saftig. Keulenfleisch hatte die Küche zu eine kräftige Bolo geköchelt, die mit dezenter Säure und Schärfe gut zur geflämmten Zuckermaus passte. Ätherischer Estragon war klar erkennbar Ungewöhnlich die ganzen Pistazien, aber etwas Knack ist nie verkehrt! Dagegen blieb das vereinzelte Popcorn nur ein optischer Effekt; am Tisch war es schon nicht mehr knackig und ging geschmacklich sowieso unter. denn die samtene Suppe mit viel Arriba-Schokolade war der Burner mit ihrer nur leicht süßen Herbheit. Sehr, sehr gut! Der Sauli mit dem Siphon ergänzte noch einen Schaum, 

in dem auf einer Basis der Hühnerknochen Thüringer Schnecken verarbeitet waren. Für mich war das angesichts der kräftigen Aromen keine merkliche Verbesserung, aber es sorgte natürlich für ein volleres Mundgefühl. Was sich an diesem Abend ja in die nicht eben leichten Gerichte konsequent einreihte.

Irgendwie war mir das alles zu schwer und ich lechzte nach etwas Entlastung. Natürlich würde ich nie ein Sorbet bestellen (nach dem Fleisch, meine ich), aber die große Flasche auf der Theke mit der schwarzen Flüssigkeit sah recht vielversprechend aus. Und in der Tat, Saulis selbstgemachter Lakritz-Wodka (8€) sorgte für aufgeräumte Stimmung...

Mit dem abschließenden Teller blieb der Nordmann mit der Zero-Frisur seiner Linie treu: Viel und bunt! 

Was nach farbenfreudigem Dessert aussieht, war aber (überwiegend) ein Käseteller. Kräftiger alter Gorgonzola am Stück und in einer milderen Variante als cremiges Eis sehr befriedigend. (Wie in diesem Song: Er mag das Eis sehr, wenn es herb ist, wenn es auf der Zunge beißt. Dann vergisst er den Dessert-Mist, der nicht süßer Eiswein heißt. Ohohohoho....). Dazu dann aber doch die große Kaffeetafel, knackige Haselnüsse auch im saftigen Kuchen, Rosen als Gelee und sehr gelungene kristallisierte Blätter. Von der Lakritze in Püree- und Crème-Form hätte es für die Balance gern mehr sein können. Dagegen konnte der Fichtensprossen-Staub eine merkliche herbe Nuance einbringen.

Fazit:
Schwierig. Eigenwillig war es und schon deutlich abgesetzt von der üblichen puristischen, brutal-regionalen Nordic cuisine. Andererseits fand ich die wilde Melange von finnischer mit Mittelmeer-Küche angestrengt und selten gelungen. Mit einem winzigen zeitlichen Abstand scheint mir ein Wiederholungsbesuch doch lohnend, allein schon für Saulis vorzüglichen Salmiakki!
DETAILBEWERTUNG
Service
Sauberkeit
Essen
Ambiente
Preis/Leistung


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