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Meine Mutter hatte einen Tisch für drei an einem Donnerstagabend reserviert, denn ohne Voranmeldung ist hier so gut wie kein Platz zu bekommen. Das Lokal befindet sich an einer Kreuzung im Ortskern von Rülzheim. Parkmöglichkeiten waren entlang der Mittleren Ortsstraße genügend vorhanden. Schon beim Eintritt in die gutbürgerliche, etwas in die Jahre gekommene Gaststube, wähnt man sich in einer echten Dorfbeiz. Was müssen die früher hier weggequalmt haben. Heute findet das Gott sei Dank im Innenhof vor der Tür statt.
Tatsächlich waren nahezu alle Plätze vergeben. Und das an einem Donnerstagabend in der Pfälzer Provinz. Man kam recht leicht mit den Leuten vom Nachbartisch ins Gespräch. Die meisten von ihnen verkehrten hier anscheinend öfter. Auch junges Publikum – wahrscheinlich Fußballer, die nach dem Training hier einkehrten – mischte sich unter die Gästeschar. Aha, unweit von uns saß die Herxheimer Bürgermeisterin. Klar, dass sie für solide Hausmannskost extra nach Rülzheim fahren musste. Im meinem früheren Heimatdorf sind solche Gastwirtschaften nämlich mittlerweile Mangelware. Ein Gastronomie-Typus, der im ländlichen Raum immer weniger wird. Vielen Familienbetrieben mangelt es heute schlichtweg an gastronomischem Nachwuchs. Die Zeiten, in denen das Küchenzepter automatisch an die jüngere Generation weitergegeben wurde, sind lange vorbei.
Auch in der Krone steht noch die Oma hinterm Herd und hält den Familienbetrieb auf Kurs. Aber wie lange noch? Diese Frage im Hinterkopf blättere ich mich durch die Speisenkarte, deren Seiten hinter Klarsichtfolie vor Abgriff geschützt sind. Herrlich, so sah die bestimmt schon in den 80ern aus. Das Bellheimer Silber Pils gibt es hier vom Fass für faire 2,90 Euro den Schoppen. Auch die anderen Getränkepreise hören sich sehr zivil an. Die Flasche Mineralwasser schlägt mit gerade mal 3 Euro zu Buche.
Die Durchsicht des Speisenangebots ist schnell abgeschlossen. Diverse Schnitzelgerichte und Kammsteaks sind als gutbürgerliche Schweinskost vertreten. Mit Pommes und einem kleinen gemischten Salat ausgestattet zahlt man zwischen 10 und 12 Euro. Die Rumpsteaks sind in fünf Varianten erhältlich. Die preisliche Obergrenze von 18,50 Euro markiert hier die Version mit Knoblauchsahnesoße, Pfifferlingen, Kroketten und Salat. Zur Größe des Rumpsteaks sei nur so viel angemerkt: am Nachbartisch teilte man sich zu zweit eine Portion mit angebratenen Zwiebeln. Und beide schienen danach gut gesättigt gewesen zu sein.
Für „Nicht-Daueresser“ und andere halbe Portionen gibt es selbstverständlich auch die Gerichte als Seniorenteller sowie ein paar kalte Schmankerl zum Vespern. Wurstsalat mit Brot, Hausmacher Wurst mit Brot oder der große Salatteller (alles für jeweils 7 Euro) sind den Freunden kalter Küche vorbehalten. Dem gemeinen Veggie hätte der Salatteller wohl kaum gemundet, befand sich doch unter den grünen Blättern versteckt auch ein Häufchen Wurstsalat. Aber alles in Ordnung, stand so auch kleingedruckt in der Karte dabei.
Meine beiden Begleiterinnen entschieden sich für eben jenen Salatteller und für das Jägerschnitzel in der Normalversion mit Pommes (11 Euro). Letzterem schloss ich mich an, wenn auch bei mir Kroketten als Beilage. Die Bedienung fragte nach, ob wir die Schnitzel natur oder paniert haben wollten. Dass sie mit „die Schnitzel“ eine Portion meinte, war mir da noch nicht klar. Erst als am Nachbartisch ein stattlicher junger Mann mit anscheinend dauerhaft gutem Appetit seine beiden Jägerschnitzel mit einem Berg von Spätzle serviert bekam, schwante mir Böses.
Doch erst einmal wurde mit dem Beilagensalat die Zeit bis zur Schnitzelschlacht überbrückt. Lediglich angemacht mit Essig und Öl repräsentierte dieser die ganz alte Schule der Salatzubereitung. Das klassische Kraut- und Rübengeschäft lauerte unter einer dicken Decke frischer grüner Blätter, auf denen ein Stück Tomate thronte. Mit angenehmer Essigsäure wusste dieser zu gefallen. Das vegetarische Gewissen in mir war beruhigt. Nun konnte die Schnitzelei beginnen.
Ein allgemeines „Wer soll das denn alles essen?“ war an unserem Tisch vernehmbar, als die Fleischteller mit Kartoffelbeigabe vor uns standen. Na das kann ja heiter werden. Die Salatfrau in unserer Runde entdeckte missmutig ihre Wurstsalatfäden unter dem Grünzeug. Ich wusste gar nicht, wo ich anschneiden sollte. Der Krokettenstapel auf meinem Teller begrenzte die panierte und mit brauner Jägersoße begossene Fleischinsel wie ein Bollwerk. Kalter Schweiß ergriff mich bei dem Gedanken, Kollege Daueresser würde mit am Tisch sitzen und mit dem nackten Finger auf diese in seinen Augen lächerliche Vorspeisenportion zeigen und dabei in carnivorisches Hohngelächter ausbrechen. Da musste ich jetzt durch – egal wie.
Doch in was ich dann zu meiner Überraschung biss, war das zarteste Stück Schweineschnitzel, das ich seit langem auf der Gabel hatte. Die Jägersoße mit den Dosenpilzen drin machte das Ganze schön süffig, ideal zum Krokettenreintunken. Dass auf meinem Teller zwei Vertreter der Gattung „porcus panadus“ lagen, war natürlich des Guten zu viel. So tauschte ich am Tisch ein halbes Exemplar gegen zwei Gabeln Wurstsalat ein und meine Chancen auf Komplettverwertung waren gestiegen.
Um es kurz zu machen: ich hätte den Teller ohne Unterstützung nicht geschafft. Natürlich habe ich mich gefragt, wo das Fleisch bei 11 Euro für den Teller wohl herkommen mag. Weder vom Biobauernhof noch vom Schwäbisch Hällischen, so viel war klar. Die Zubereitung war jedoch so lecker, dass wir die Fahrt nach Rülzheim nicht bereut haben. Mit einer kleineren Portion wäre ich allerdings noch zufriedener von dannen gezogen. Egal, beim nächsten Mal ist das Rumpsteak dran. Das teilen wir uns dann aber.