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GastroGuide-User: tischnotizen
tischnotizen hat Handwerk | Casual Fine Dining in 30173 Hannover bewertet.
vor 5 Jahren
"Die Kunst des Weglassens"

Geschrieben am 17.10.2019
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Besucht am 28.07.2019 Besuchszeit: Abendessen 2 Personen Rechnungsbetrag: 329 EUR
Sonntags ist es in Hannover, wie in vielen Städten, etwas problematisch, wenn man jenseits von Pizza oder Steakhouse etwas Kreativeres sucht. Das „Handwerk“ macht hier auch weiterhin eine erfreuliche Ausnahme und so finden wir uns, wie bei unserem letzten Besuch vor fast einem Jahr bei bestem Wetter, erneut auf der gemütlich eingerichteten Terrasse wieder.

Im Grunde hat sich nicht viel verändert. Das Menü von vier bis sieben Gängen ist mit 59 – 89 Euro preisstabil und wechselt häufig. Standardmäßig wird geduzt. Man fragt aber gleich zu Beginn ab, ob das in Ordnung ist und kann natürlich auch auf das Formellere umstellen, ohne dass dies der Herzlichkeit Abbruch tut.

Dies ist unser dritter Besuch und da ich über den Küchenstil bereits in meinen vorherigen Besprechungen ausgiebig geschrieben habe, ist dies mehr eine Bestandsaufnahme, wie sich Thomas Wohlfelds Küche im Jahr 3 des Bestehens präsentiert.

Wie gewohnt startet der Abend mit dreierlei Apéros. Wassermelone mit Pfeffercreme, ein Stück Quiche mit Imperialkaviar und ein knuspriger Cannelloni mit einer Füllung aus Speckcreme überzeugen durchweg mit einer angenehmen Fülle und Würze.

Apéros

Schön auch das Sashimi von der Gelbschwanzmakrele als Amuse Bouche. Ponzu, eingelegter Rettich und Sesam sorgen auch hier für einen eher kräftigen, aber wohl dosierten Akkord.

Amuse Bouche: Sashimi von der Gelbschwanzmakrele

Brot kommt weiterhin frisch gebacken mit aufgeschlagener Butter und einer Olivenerde.

Brot, Butter, Olivenerde

Der erste Gang des Menüs an diesem Abend präsentiert eine recht klassische Kombination aus Gurke, Dill und Sauerrahm. Gurke in Scheiben, Dill als Sud und ein Sauerrahmeis harmonieren stimmig und erhalten durch den leicht öligen Sud auch eine gewisse Fülle. Das Eis schmilzt bei den hohen Temperaturen relativ schnell und insgesamt hätte ich mir das Gericht vielleicht ohnehin etwas kühler vorstellen können, um den Frischecharakter noch besser heraus zu arbeiten.

Gurke / Sauerrahm / Dill

Thomas Wohlfeld beschränkt sich in seinen Gerichten in der Regel auf drei Komponenten. So auch bei der Jakobsmuschel mit Karotte und Haselnüssen. Die Jakobsmuschel weist nur dezente Röstnoten auf und fügt sich damit in den milden Charakter der Karotte als Püree und in knapp gegarten Scheiben. Sie ist auch noch in der Jus verarbeitet, die den eigentlich Kick in diesem Gericht liefert.

Jakobsmuschel / Haselnuss / Karotte

Mit einer konzentrierten und kräftigen Miso-Hühner-Suppe geht es weiter. Eigelb, Enoki, Bohnen und Schnittlauch sind unkompliziert, süffig und lecker. Allerdings auch etwas schweißtreibend. Aber das ist eher mein persönliches Ding, dass heiße Suppen bei hochsommerlichen Temperaturen nicht meine allererste Wahl sind. Gut gemacht ist diese hier dennoch.

Hühner Miso Suppe / Eigelb / Bohne

Durchaus deftig präsentiert sich auch die folgende sehr zart geschmorte Schweinebacke in einem Sauerkrautjus. Auf dem Fleisch ebenfalls etwas dünn gehobeltes, mariniertes Kraut und Estragonstaub. Letzterer dominiert auch mit einer kräutrig würzigen Note den Jus. Ich bin nicht der größte Fan von Sauerkraut in seiner klassischen Form, aber so präsentiert macht auch mir das viel Spaß.

Schweinebacke / Sauerkraut / Estragon

Vor dem Hauptgang gibt es im „Handwerk“ traditionell eine kleine Erfrischung. Dieses Mal ist es ein Limetten-Eis-Lolly mit einem Mango-Espuma, was angesichts der Außentemperaturen gerade recht kommt.

Limetten-Eis-Lolly / Mango

Der Rücken vom Oldenburger Rind ist toll gebraten und von einer gut gemachten Kalbsjus begleitet. Den eigentlichen Clou neben der vorzüglichen Fleischqualität liefert aber die dicke Scheibe der Ochsenherztomate. Ganz roh begeistert sie mit vollem Eigengeschmack und einer präsenten Säure, die von der Dresdner Berle etwas abgepuffert wird. Ähnlich der Belper Knolle steuert der Käse aber auch eine würzige Aromatisierung bei.
Das ist klug komponiert, äußerst fokussiert und aufs Wesentliche konzentriert. Wenn man so will, ein Musterteller, der Thomas Wohlfelds Küche exemplarisch darstellt.

Oldenburger Rind / Tomate / Dresdner Berle

Kommen wir zu den Desserts. Als erstes serviert die Küche ein sehr schönes, cremiges Heidelbeereis mit einem Öl aus gerösteter Kakaobohne auf Toffeebrösel. Dazu einige eingelegte Heidelbeeren. Das ist unkompliziert und lecker. Sehr gut gefällt mir bei aller Fruchtigkeit auch die etwas herbe Note.

Heidelbeere / geröstete Kakaobohne / Toffee

Den Abschluss bildet ein Windbeutel, der mit Himbeeren, Himbeercreme und Kokos-Eiscreme gefüllt ist. Letztere hätte etwas ausgeprägter sein können, aber insgesamt ist dies erneut eine harmonische Kombination, die zudem gutes handwerkliches Können zeigt.

Windbeutel / Kokos / Himbeere

Was auch für die finalen Petits Fours gilt.

Petits Fours

Thomas Wohlfeld bleibt seinem Küchenstil auch weiterhin treu. Er beherrscht die Kunst des Weglassens. Nichts findet sich auf seinen Tellern, das nur unnützes Beiwerk wäre. Im ersten Moment mag das arg reduziert und vermeintlich einfach wirken. Aber man merkt den Gerichten an, dass hier klug komponiert und variiert wird. Das ist auf seine Art leicht zugänglich und alles andere als verkopft.
Wenn ich an diesem Menü etwas auszusetzen hätte, wäre es vielleicht die Tatsache, dass es mit der Suppe und der Schweinebacke zwei recht deftige Gänge gab, die zumindest für mich nicht so recht zum hochsommerlichen Wetter passten. Sie waren geschmackvoll und gut gemacht, aber ich hätte sie mir im Herbst besser vorstellen können. Ist aber mein ganz eigenes Empfinden und soll den guten Eindruck des Abends nicht schmälern.

Einige Wochen später sind wir erneut zu Gast, die Temperaturen sind deutlich herbstlicher und vielleicht hätte der ein oder andere Gang vom Sommer an diesem Abend besser gepasst. Aber auch so bestätigt sich der überaus positive Eindruck mit einigen herausragenden Gerichten.

Sehr schön zum Beispiel zu sehen, wie einer der Apéros aus dem Sommermenü es mit etwas Weiterentwicklung zu einer sehr stimmigen Vorspeise geschafft hat. Die Wassermelone ist jetzt gegrillt, der Kohlrabi in hauchdünnen Scheiben ergänzt das geschmacklich sehr gut und die Pfeffercreme setzt jetzt deutlich markantere Akzente als es beim kleinen Apéro möglich war.

Wassermelone /Kohlrabi / Pfeffer

Auch der Heilbutt mit einer sehr ausgeprägten Lauchsauce weiß zu überzeugen. Ob nun mit Forellen- oder Imperialkaviar – es ist eine extrem stimmige Kombination.

Heilbutt / Lauch / Imperialkaviar

Das Highlight setzt für mich an diesem Abend aber ein Gang rund um die Schalotte. Auf einer Creme von nordfriesischem Deichkäse sind gegarte Schalottensegmente und kleine Bätterteigkissen platziert. Angegossen wird eine höchst aromatische, leicht cremige Zwiebelsuppe. Wenn man so will, ist dies eine sehr zeitgemäße Interpretation der guten, klassischen Zwiebelsuppe, nur viel feiner und eleganter. Soulfood par excellence.

Gebackene Schalotten / Blätterteig / Deichkäse

Beim Fleischgang wird das Rad definitiv nicht neu erfunden. Die Kombination aus Reh, Selleriepüree und Birne ist eigentlich sogar ur-klassisch. Allerdings – und das ist heutzutage auch schon nicht mehr selbstverständlich – besticht der Gang hier mit einer hervorragenden und sehr sorgfältig zubereiteten Qualität des Rehrückens. Zum einen ist das Stück nicht nur auf den Punkt gegart, sondern überzeugt auch mit einem wunderbaren Geschmack. Mehr noch allerdings freue ich mich über eine Konsistenz, die man bei Reh eben auch nicht immer findet, zumal wenn es vorher sous-vide behandelt wurde. Dann kann es auch schon mal schnell zu weich und nahezu schmierig werden. Nicht so hier. Wir haben ein makelloses Stück, das genug Biss hat, dass man sich nicht zwangsläufig wie im Altersheim fühlt. Dass das geschmackvolle Selleriepüree dieses Kriterium erfüllt, dafür kann es nichts. Püree ist eben Püree. Aber dies ist ein sehr gutes.

Brandenburger Rehrücken / Birne / Sellerie

Auch die übrigen Gänge des Menüs wissen zu gefallen, aber dies sind die für mich klar hervorstechenden.

In jedem Fall ist es schön zu sehen, dass sich das „Handwerk“ mit einem derart eigenständigen, modernen Konzept bereits nach relativ kurzer Zeit in der Spitze der hannöverschen Restaurantszene hat etablieren können. Denn genau da gehört es auch nach meiner Meinung hin.


Bericht wie immer auch auf meinem Blog: http://tischnotizen.de/handwerk-hannover-3/
DETAILBEWERTUNG
Service
Sauberkeit
Essen
Ambiente
Preis/Leistung


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