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Nun ist - solange zwischen Alster und Elbe keine Zitronen blühen - auch Stefan Schröder keiner. Aber der äußerst meinungsstarke Koch und Gastronom ist nicht an einen Stil gebunden. Mit dem Allegria hat er vor Ort schon ein sehr gehobenes Steakhaus etablieren können und seitdem er für den Kleinen Ratskeller im Zentrum verantwortlich zeichnet, wird dort wieder bremisch-norddeutsche Regionalküche von bemerkenswertem Niveau angeboten (Empfehlung!). Und das soll wohl nicht das Ende seiner Ambitionen sein, wenn man den örtlichen Gerüchten glaubt, die ihn als möglichen Betreiber einer weiteren, sehr exponierten Innenstadtgastronomie nennen.
Durchaus gespannt machte ich mich daher für einen kleinen Check mit der Straßenbahn die ca. 15 Minuten vom Zentrum auf den Weg. Die Haltestelle liegt genau vor der Tür. Parkplätze an der Haupt- wie in den Nebenstraßen sind auch möglich, aber Glückssache. Wer nicht in den großen Convenience-Mexikaner (Schüttel!) auf der anderen Straßenseite verschwindet, geht an der noch im Winterschlaf befindlichen hübschen, oberhalb des Straßenniveaus liegenden Terrasse vorbei zum seitlich gelegenen Eingang hinauf. Heizpilze und Strandkörbe sollen laut Mr. Selbstbewusstsein hier demnächst fast ganzjähriges open-air-Genießen ermöglichen. Die derzeitigen Temperaturen verlangen, dass nach der Eingangstür zunächst noch ein schwerer runder Vorhang zu durchschreiten ist, denn danach steht man auch schon mitten im Gastraum.
Die Renovierung hat dem Lokal gut getan. Cremetöne, Wandleuchter im klassischen Kerzenhalter-Design und eine große abgehängte Lichtinsel mit LEDs und indirekter Beleuchtung schaffen eine elegante Atmosphäre. Dazu passen einige, auf zweimal weißer Wäsche mit Wein- und Wasserglas, Butterteller und aufwändig gefalteter gestärkter Stoffserviette eingedeckte Tische (Reservierungen?). Bei anderen sieht man dagegen die derzeit sehr beliebten dicken Holz(?)Platten im Design alter Weinkisten ohne Tischdecken, im Übrigen aber identisch bestückt. Der vorgetäuschte Branddruck wirbt - in einem "Italiener" etwas überraschend - für katalanische Weingüter und französische Châteaus. Das ist eben vom Gasto-Inneneinrichter. Immerhin zeigt das sogleich entzündete nette Grablicht durchscheinend die Skyline von Venedig. Die bequemen Stühle und Bänke sind mit wertigem, braunem shabby Wildleder bezogen, was mir sehr gut gefallen hat. Nur noch die roten Bodenfliesen mit einigen mittelbraunen Holzbalken erinnern an rustikalere Zeiten im von außen recht schmucken Altbau. Insgesamt eine stimmig gehobene, aber nicht steife Atmosphäre.
Beim Eintreten wurde ich von einem jungen Mann mit wohl österreichischem Akzent bemerkt und begrüßt, der mich aufmerksam und freundlich auch im folgenden bediente.
Ich hatte allerdings gleich den Chef gesehen, wurde begrüßt und wir wechselten ein paar Freundlichkeiten. Dabei erfuhr ich, dass seit Dezember erst soft-opening gefahren wird, um dem Team die Einarbeitung ohne den Rummel nach einer kräftig beworbenen Eröffnung zu ermöglichen. Die soll dann im nächsten Monat erfolgen. Mag vielleicht im Dezember auch noch Personal gefehlt haben, so oder so eine schlaue Entscheidung.
Mir wurde ein Zweier-Tisch am Fenster angeboten, leider hinter dem offenbar nicht zu entfernenden, tragenden Pfeiler, der den Gastraum etwas ungünstig teilt. Die Tische sind recht eng gestellt, die Gänge aber ausreichend. Vertrauliche Gespräche sind allerdings unmöglich, was aber ja scheinbar niemanden mehr stört... Am Abend war von der Lebenserfahrung und der Zusammensetzung her ein gemischtes Publikum anwesend, das aber ganz sicherlich aus dem Stadtteil stammte. Der letzte Urlaub in Kambodscha und die Affäre der Nachbarin mit ihrem personal trainer sind nicht in allen Gegenden übliches Thema am Restauranttisch. Ich flüchtete, als der Twist eines mir noch unbekannten Kinothrillers zu besprechen werden drohte, in den Keller. Dort, am Fuß der neuen, wenngleich weiterhin steilen Treppe erhielten auch die Toiletten eine Renovierung. Modern, freundlich, Stoffhandtücher und Papierspender, flüssige Seife vom Drogeriemarkt. Keine Mängel, wie erwartungsgemäß überhaupt bei der Sauberkeit.
Aus der geöffnet gereichten, zu meiner Überraschung mit laminierten Seiten versehenen Speisekarte hätte ich gern vieles bestellt. Allerdings machte sich mein bisheriger kulinarischer Tagesablauf bemerkbar. Nach zwei Gängen am Mittag im Alto hatte ein aus beruflichen Gründen überraschend einzulegendes Pre-Diner in der Weinbar Spitz selbst meine Kapazität eingeschränkt.
Ich orderte also nur
Bruschette miste und
Antipasti terra
für je 11,5€ und
eine Minestrone di Verdura für 7,9€.
Von der auch noch ins Visier genommenen Pasta riet der Chef ab, da die Suppe "dick" und daher sättigend sei. Er plädierte für die Nudeln, ich blieb trotzdem bei der Minestrone.
Dazu eine Flasche Vilsa still für erträgliche 5,5€, in der Weinbar hatten wir nicht nur gegessen... Aber ein Aperitif sollte es dann doch schon sein. Auf der Karte wird tatsächlich glasweise Moet weiß (13,9€) und rosé (+2) angeboten. Mein Wunsch nach letzterem ließ den Kellner doch beim Chef nachfragen. Welcher Gastwirt öffnet schon gerne eine Flasche Champagner um 21.00 Uhr unter der Woche für einen einzelnen Trinker? Herr Schröder löste das auf typische Art: Vom Schampus ist keine Rede mehr, als er mit einem Glas Prickelnden "aus meinen Privatbeständen!" an den Tisch kam. Ein Franciacorte Rosé, fruchtiges Bukett, sehr vollmundig, genau mein Schaumwein-Geschmack. Er soll vermutlich mit 8,5€ auf die Karte, bei meiner Rechnung findet er sich nicht, danke. Leider vergaß ich, für die Aficinados hier nach der Kellerei zu fragen.
Die Küche schickte zunächst leicht knusprige Pizzateigbrötchen, etwas lasch. Salz und Pfeffermühlen auf Wunsch. Dazu große, weiche, milde grüne Oliven. Und ein sehr intensives selbst gemachtes Pesto-Öl auf der Basis der eigenen Ernte aus Apulien. Basilikum, Petersilie, nur leicht Knoblauch, damit wurde das Brot schon ein Genuss
Pizzabrötchen mit Kräuteröl
Was erst recht für die folgende Bruschette galt, je eines mit Tomaten, mit Auberginen und mit Steinpilzen
Bruschetta
Meilenweit von der Standardware entfernt, jedes für sich eine Aromabombe. Mich hat schon das wohl pfannengeröstete Weißbrot sehr beeindruckt. Knusprig, ohne hart zu sein, schöne Röstnote und innen weich. Wie ein perfekter Toast. Darauf wunderbar aromatische, von Parmigianosplittern gekrönte Datterinos, die ich zu dieser Jahreszeit für unmöglich hielt. Als ich hinterher davon schwärmte, durfte ich gleich noch einige der verwildert wachsenden sizilianischen Exemplare mit dem Olivenöl und etwas feuchtem Meersalz probieren
Datterinos
Der Kerl weiß, wie er mich kriegt! Dazu immer eine Story, die ganz sicher wahr ist. Und wenn nicht, verteufelt gut ausgedacht! Die in Öl eingelegten Steinpilze brachten das volle Herbstaroma zurück, die schlotzigen Auberginen waren mit Peperoni aufgemotzt. Dazu Oliven und reichlich Kräuter und Gewürze, ein barocker Teller südlicher Lebensfreude!
Elegant kamen dagegen die ländlichen Antipasti
Antipasti terra
daher (im Angebot neben terra auch mare und vegetale). Gar nicht hoch genug zu loben ist das Carpaccio, das direkt aus Harry's Bar zu stammen schien. Handgeschnittene und daher etwas dickere Scheiben vom Rinderfilet, die nach Fleisch schmeckten, nach Rindfleisch, nach rohem Rindfleisch! Und wo wird in den italienischen Lokalitäten landauf, landab dazu die Sauce von Signor Cipriani gereicht? Auch der Kalbsbraten schmeckte, wie es sich gehörte und wurde nicht von Thunfischsauce ersäuft. Dazu frittierte Kapern, für mich immer noch up-to-date, da ich den Crunch so mag. Übrigens war die Missbilligung der diversen Kräuterschnipsel am Tellerrand etwas verfehlt, da auch hier Knusprigkeit ins Spiel kam. Einige Tropfen Olivenöl, wieder Parmesan und diesmal geschmorte Datteltomate. Ein nicht überragender, aber anständiger luftgetrockneter Schinken und getrüffelte Salami rundeten das sehr harmonische Bild ab. Bravo!
Das (bewusst gewählte) Kontrastprogramm dann die rustikale Gemüsesuppe mit dicken Bohnen
Minestrone
Auf angerösteten Gemüsen gekocht, kräftig in Farbe und Konsistenz. Zwiebeln, Tomaten, Knoblauch, Pinienkerne waren noch zu entdecken, ein Zweig Rosmarin zum Durchziehen. Pikant gewürzt, sicher waren auch hier Peperoncini im Spiel. Für die Freunde der gehaltvollen Minestrone wahrlich ein Genuss.
Das PLV angesichts der Kreativität und der Qualität deutlich überdurchschnittlich.
Eigentlich war ich pappsatt und glücklich, als ich aus der Küche das unverkennbare Geräusch des Schneebesens hörte: Zabaglione! Der erste Versuch kam Minuten später in einem großen bauchigen Glas, war sehr heiß und sehr spritig und vielleicht aufgrund von zu viel Alkohol leider missglückt. Kaum Schaum, mehr Eierpunsch. Der musste leider zurück. Ich rechnete gar nicht mit Ersatz, der aber in Windeseile vor mir stand. Jetzt auch ein festerer Schaum, da gab es nichts zu meckern, aber der Alkohol stand hier weiterhin im Vordergrund, vermutlich nicht nur Marsala, sondern auch Stärkeres. Nicht so meins.
Ändert an der Klasse-Küchenleistung aber kaum etwas. Der Umgang mit dem Malheur war sowieso sehr professionell. Der Preis von 7€ o.k.
Eine sehr guter erster Aufschlag - das wird auch nach der offiziellen Eröffnung was!