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GastroGuide-User: marcO74
marcO74 hat Ristorante Due Fratelli in 28205 Bremen bewertet.
vor 9 Jahren
"Schicker, von „ due fratelli“ geführter Eckitaliener, in dem auch kulinarische Blinddates gelingen"
Verifiziert

Geschrieben am 25.03.2016
Besucht am 20.03.2016
Wir schreiben das Jahr 2016. Es ist ein für sonnenverwöhnte Pfälzer etwas zu kühler Sonntagabend im März – von Frühlingsanfang im schattigen Bremen keine Spur. Doch anstatt sich der hier scheinbar üblichen norddeutschen Wetter-Tristesse zu ergeben, stehe ich mit meiner charmanten Begleitung fast auf Tuchfühlung mit einer etwas Wärme spendenden Gas- bzw. Terrassenfackel vor einem sehr einladend beleuchteten Eckristorante im Bremer Zonenrandgebiet, das sie hier „Östliche Vorstadt“ nennen. In Erwartung eines Pärchens, dessen männlicher Part sich als aktives Mitglied unserer GG-Community auszeichnet und der sich bereits durch mehrfach prämierte bzw. gemochte (sorry, Til S., aber ge“like“te ist mir an dieser Stelle echt zu neudeutsch!!!!!!!) Essensgeschichten auf dieser Plattform einen Namen gemacht hat. Nicht nur im Borgfeld scheint dieser eloquente Genussrebell einen gewissen Bekanntheitsgrad erworben zu haben. Auch seine wortgewaltig dokumentierten Ausflüge in lukullische Pläsierregionen, wie beispielsweise der Südpfalz, gehören mittlerweile zum GG-Kulturerbe.

Mittlerweile hatte sich der Service-Chef  des Lokals (einer der beiden „fratelli“)zu uns nach draußen gesellt und fragte uns, warum wir nicht im Warmen auf die noch fehlenden Ergänzungen unseres Gastro-Vierers warten wollten. Doch da kamen die beiden schon angeradelt. Vorbildlich behelmt, das Erkennungswort („Ischhabfottohendy“) laut ausrufend stiegen sie von ihren Drahteseln, um uns herzlich in Empfang zu nehmen. Meine vorsorglich vom St. Martiner Weingut „Vinification Ludwigshöhe“ vor Ort erworbene Flasche Rotweincuvée wechselte vorm Eingang des „Zwei-Bruder-Lokals“ seinen Besitzer. Ein vom Pfälzer Tourismusministerium als „trinkbar“ eingestufter Tropfen, der zur Not auch im Inneren der Gastwirtschaft in Ermangelung liquider Genussmittelkorrespondenz seinen Dienst (gegen entsprechendes Korkgeld versteht sich) hätte antreten können.
 
Über das Interieur des Italo-Tempels hat sich mein Bremer Gastrokollege im Vorbericht schon sehr detailversessen und mit der für ihn üblichen Sprachgewandtheit ausgelassen. Seinem geschärften Blick entging weder der leicht abgetretene Dielenboden, noch die hüfthohe Wandvertäfelung in dunklem Holzton. Die mit zarter Hand (Schwiegermutter oder Service-Dame?) beschriebenen Schiefertafeln waren knapp unterhalb der Decke angebracht und von einer vielarmigen „Lampenkrake“ ins rechte LED-Licht gesetzt. Hier war das Mittagsangebot (Penne, Gnocchi und Co.) nachzulesen. Bemerkenswert geradlinig eingedeckte Tische, die schlicht und edel zugleich wirkten. Insgesamt lässt sich der Gastraum als vornehm gemütlich bezeichnen, ohne zu dick auftragen zu wollen. Deshalb wahrscheinlich auch die inhomogene Bestuhlung und die stellenweise ins leicht Kitschige abdriftenden Accessoires an den Wänden. Auf einen Kommentar zu den silbernen Garderobehaken verzichte ich an dieser Stelle.
 
Die holzverkleidete Sitznische mit bequem gepolsterter Wandbank und Spiegel im Retro-Look war ein stilvoll illuminierter Hingucker. Welch Zufall, dass wir an jenem Abend genau dort Platz fanden. Kaum hatten wir es uns in unserer nostalgisch anmutenden Essecke gemütlich gemacht, begann eine unterhaltsame Tischkonversation, die nicht selten in herzliches Gelächter ausartete und die zunächst den Bestellvorgang etwas verschleppte. Vier Crodino-Secco (6,50 Euro für 0,2 l) ohne Eis (jahreszeitlich bedingt) trafen als Aperitif getarnt auf die durstigen Ankömmlinge. Sie wurden – wie die anderen Speisen und Getränke auch – vom bereits erwähnten Chef de Service und seiner weiblichen Verstärkung gereicht. Das Service-Duo machte seine Sache richtig gut. Der Hausherr gab sich locker, erteilte bereitwillig Auskunft (Lokalhistorie, Wurzeln, Background usw.) ohne zu langweilen, lehnte sich bei der Weinempfehlung bisweilen etwas zu weit aus der Loggia, konnte aber nonchalant parlieren und sich auf seine Gäste gut einstellen. Besonders begeistert waren wir aber von der reizenden Signorina. Ihre zurückhaltende und doch zugleich sehr aufmerksame Art wusste zu gefallen. Sie fasste uns – genau wie das Besteck – nur mit (verbalen) Samthandschuhen an. Sicherlich ein Gewinn für das Restaurant.

Schon nach den ersten 10 Minuten im Lokal war jedem am Tisch klar, dass das Thema „Essen“ heute nur eine untergeordnete, vielleicht sogar nebensächliche Rolle spielen wird. Es hat uns zwar zusammengeführt, dominierte jedoch nie unsere Gesprächsrunde. Dennoch kam der Hunger auf leisen Sohlen angeschlichen und musste fachgerecht überführt werden.
 
Wir studierten die recht übersichtlich angelegte Speisen- und Getränkekarte, während uns eine Art Fischcrème als Amuse gereicht wurde. Das dazugehörige Weißbrot war weder besonders knusprig, noch hatte es Geschmack. Die Variante mit Oliven auch nicht wirklich frisch. Das geht besser, Brüder Italiens!
 
Meine Wahl fiel auf die Fischsuppe (9 Euro) vorneweg, die gratinierten Jakobsmuscheln als Zwischengang (14 Euro) und die Spaghetti con Gamberi mit argentinischen Wildgarnelen, Olivenöl und Knoblauch (15,50 Euro) zum Hauptgang. Die Dame an meiner Seite entschied sich für das hauchdünn aufgeschnittene Zucchini-Carpaccio mit überbackenem Ziegenkäse, Pinienkernen und wildem Honig (9,50 Euro) sowie die mit Parmaschinken und Mortadella gefüllten Ravioli unter einer Bergkäse-Mascarponecreme (14,50 Euro). Das Pärchen, das uns freundlich gegenüber saß, hatte sich für die cremige Burrata aus dem Tagesangebot (12,50 Euro), das frisch gesammelte Waldpilz-Trio mit Kräuter-Polenta und Parmesancreme (11,50 Euro), die bereits erwähnten Ravioli (jedoch nur als kleiner Zwischengang, 8 Euro), das Wildlachsfilet auf Weißwein-Risotto an Grappasauce (21,50 Euro) sowie den Kalbsfilet-Turm auf Maisgries-Sockel mit Pistazienkuppel und umgebenden Jus-Graben (26,50 Euro) entschieden. Vorher sollte es aber noch eine kleine Antipasti-Platte (13,50 Euro) sein, die wir uns zu viert teilten. Würzige Grana Padano-Stücke eiferten mit aromatischem Parmaschinken um die Gunst unserer Geschmackspapillen. Verstreute Feldsalatsprengsel sorgten für grüne Tupfer, während die Kleckse vom Feigenchutney eine scharfe Wasabi-Note hatten.
 
Es war nun an der Zeit, den passenden Wein auszusuchen. Mein GG-Kollege reichte diesen Kelch an mich weiter, nicht ohne auf meine pfälzischen Rebwurzeln hinzuweisen. Derlei übertriebener vinophiler Fremdfederschmuck war mir fast schon unangenehm. Ich legte mich in Anbetracht der mehrheitlich gewählten Fisch-Preziosen mächtig ins Zeug und wählte einen Weißwein aus der Langhe (Region Piemont, Norditalien), einen Arneis DOC „Cristina Ascheri“ von der Cantine Giacomo Ascheri aus Bra (Provinz Cuneo). 26 Euro geteilt durch 13 Volumenprozent ergab als Quotient 2 Gläser im Gambero Rosso. So einfach kann eine Weinrechnung sein. So einfach, dass wir im Laufe des Abends gleich noch eine zweite Bouteille nachorderten (der vom Tischkollegen präferierte friaulische Sauvignon Blanc war wohl gerade aus…).  Der strohgelbe Arneis war ein frischfröhlicher Essensbegleiter, dessen dezente Apfelnoten (laut Internet-Recherche) keiner am Tisch so richtig herausschmecken konnte. Ergänzend sei an dieser Stelle angemerkt, dass sich unser Wasserverbrauch am Tisch in Grenzen hielt. Nicht wegen den 5,50 Euro für die Flasche San Pellegrino bzw. Acqua Panna, sondern eher aufgrund unseres gewählten Weißweinschwerpunktes.

Unser kulinarischer Kreuzzug durch die brüderliche Speisenkarte war eröffnet. Eine aromatisch nach hoher See duftende Fischsuppe, in deren Tellermitte eine noch komplett beschalte, gegrillte Garnele prangte, wurde vor mir aufgetischt. Mit einem ordentlichen Tomaten-Sugo als Basis, hatte sie eine feine Frucht und war von der Würze her delikat abgeschmeckt. Die darin schwimmenden Fischstücke waren von auffällig guter Qualität und Gott sei Dank nicht totgegart. Nichts für Bouillabaisse-Fundis, aber für Freunde mediterraner Fischküche wie mich völlig ausreichend. Auf der Zucchini-Ziegenkäse-Landschaft meiner Begleitung dominierten die Farben Grün und Weiß. Die Kombi Ziegenkäse-Honig funktioniert ja eigentlich immer. Die Burrata von der (zweiten) Frau aus Bremen am Tisch sah richtig klasse aus. Auf einem Tomatenbett, das von etwas Grünzeug (Feldsalat und Rauke schienen an diesem Abend wie eine Art Leit-Beiwerk die Gerichte auszuschmücken) und Olivenöl-Schmiere flankiert wurde, befand sich die etwa faustgroße, recht unförmige Sonderform des Mozzarellas, deren Kuhmilchanteil für die nötige cremige Konsistenz sorgte. Von der Optik her etwas abgeschlagen fand die Trilogie von Waldpilzen ihren Adressaten. Die Parmesancreme begrub die Funghi-Variation (wahrscheinlich auch geschmacklich) mit ihrer schlonzigen Textur, die mir etwas zu fettig erschien.

Doch es blieb wenig Zeit verdauungstechnisch durchzuatmen (ich meine das jetzt nicht wörtlich, denn wir befinden uns im kultivierten Bremen und nicht im Schankhaus Anno Domini zu Klotzsche), denn zwei Zwischengänge harrten ihrer Vertilgung. Die hausgemachten Ravioli des Borgfeld-Gourmets sahen lecker aus. Aber auch sie schienen mir von etwas zu viel Mascarponecreme ummantelt. Den neuschlanken Hedonisten schien dies aber wenig zu stören, hatte er doch scheinbar schon das spirituelle Nachbeben (das gemeinhin unter dem Namen Digestif fungiert) auf seiner kulinarischen Richterskala miteinkalkuliert. Die beiden Coquilles Saint Jacques kamen klassisch in ihrer Behausung mit leicht würzigen Semmelbröseln gratiniert auf den Teller und waren von subtil-glasiger Konsistenz  (Nuss und Rogen). Mit etwas Zitronensaft ein frischer Zwischengang, der den Appetit auf die garnelisierten Spaghetti im Hauptgang stringent zu fördern vermochte. Die Schnurnudeln waren etwas dünner wie gewohnt und hatten noch leichten Biss. Mit ein paar Cocktailtomaten , etwas Olivenöl und Knoblauch sowie einer leichten (Chili)Schärfe ausgestattet, war das ein 1-A-Pasta-Gericht, wie ich es schon oft beim Italiener genießen durfte. Warum auch immer das kulinarische Rad neu erfinden, wenn die Klassiker funktionieren?
 
Die Piatti meiner Tischgenossen sahen ebenfalls verlockend aus. Die Ravioli vom Zwischengang kamen im üppigeren Urformat und schmeckten meiner Begleitung hervorragend. Besonders die Füllung aus Parmaschinken und Mortadella war äußerst köstlich geraten. Eine ansehnliche Scheibe auf der Haut gebratenes Wildlachsfilet lag meiner gegenüber sitzenden Gesprächspartnerin aromenreich zu Gaumen. Auch sie lobte ihre Kombi, deren Risotto überraschend leicht daher kam. Vom Guide mit Heimrecht war angesichts seines perfekt rosa gebratenen Kalbsfilets nur noch ein fleischseliges „Muh“ zu vernehmen. Wahnsinn, dass dieser Mann nach den bereits verzehrten Gängen mit einem Käseteller den finalen Abschluss suchte. Aber auch hierbei gab er sich in Sachen genussvoller Ingestion keine Blöße.

Nach einem bernsteinfarbenen, leicht sherryartigen Dessertwein namens „Ni'Mia Passito“ und einer grandios schmeckenden Zabaione (8,50 Euro) wurde die weiße Fahne der Sättigung geschwenkt. Berauscht von den guten Gesprächen, der entdeckten gleichen Wellenlänge und natürlich dem schmackhaften Weißwein aus der Langhe zogen wir wie junge Römer von dannen. Und so schließe ich diesen zugegebenermaßen etwas ausufernden „Bericht“ mit den Worten eines leider viel zu früh verstorbenen Künstlers aus Österreich: „Lass diese Reise niemals enden, das Tun kommt aus dem Sein allein….“ und sage „grazie mille per una serata magica“
DETAILBEWERTUNG
Service
Sauberkeit
Essen
Ambiente
Preis/Leistung


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