Zurück zu Restaurant Schnürboden im Hotel Alte Werft
GastroGuide-User: DerBorgfelder
DerBorgfelder hat Restaurant Schnürboden im Hotel Alte Werft in 26871 Papenburg bewertet.
vor 10 Jahren
"Überraschungen im Emsland. Traditionelle Empfehlungen aus Küche und Keller."
Verifiziert

Geschrieben am 06.09.2015 | Aktualisiert am 06.09.2015
Besucht am 09.08.2015
Nicht nur Portale verschwinden...
Eine Ausstellungseröffnung unseres Lieblingsmalers führte uns auf das sehr hübsche Gut Altenkamp nahe Papenburg im äußersten Norden des Emslandes. Die Nachbarstadt Leer, mit dem Zug keine 10 Minuten entfernt, liegt schon in Ostfriesland und besticht, im Krieg kaum zerstört, mit einer pittoresken Altstadt aus dem 17. und 18. Jahrhundert und etlichen reformierten Kirchen. Papenburg ist gänzlich anders, lang gestreckt an Kanälen gelegen mit vielen Kähnen und Seglern vergangener Zeiten, Mühlen und ausgedehnten Radwegen in die klare Landschaft der flachen Fehngewässer. Mit dem Auto zwischen beiden Orten unterwegs, kommt man an der neuen Meyer-Werft vorbei und wer, wie wir, Glück hat, erspäht in der Halle eines der Kreuzfahrtschiffe in ihrer ganzen Größe bis zum Kiel hinunter. Gewaltig, überwältigend, unglaublich. Dann aber wieder schnell die Augen auf die Straße!

Das ehemalige Werftgelände fast im Zentrum ist dagegen fast klein zu nennen, aber natürlich immer noch ein stattliches Industrieensemble, das ein Beispiel für gelungene Konversion zu sein scheint. Verschiedene Kunst-, Kultur- und Bildungsangebote gruppieren sich um ein Viersternehotel mit überwiegend in Türmen gelegenen, modern ausgestatteten Zimmern. In unserer Maisonette war das fest installierte Fernglas der Clou, mit dem durch die großzügige Verglasung ein schöner Blick über Ems und Land möglich war. Die Zimmerpreise scheinen mir allerdings etwas überzogen. Bis auf das noch neue, kleine Hotel im Arkadenhaus beim Rathaus fehlt es halt an ebenbürtiger Konkurrenz; für die Kleinstadt ist das Angebot aber beachtlich. Da könnte die Nachfrage der Werft und anderer großer Arbeitgeber eine Rolle spielen. Auch die chinesischen Gäste dürften nicht wegen des landschaftlich reizvollen Emslandes hier übernachten. Unerwartet gut das Frühstücksbüffet, das statt auf Masse auf Eigenständigkeit setzt. Einige ungewöhnliche Konfitüren sind mir z. B. in Erinnerung, aber besonders das Waffeleisen mit frischem Teig. Frische Waffeln mit Kirschen sind was Feines, auch am Morgen!
Der Blick durch die Fenster geht in einen schönen Biergarten, umfasst von einem historischen Rotklinkerbau und einer niedrigen Mauer, in dem wir unter einer mächtigen Rotbuche am Nachmittag einen leckeren Eiskaffee als Ersatz für das der Anfahrt zum Opfer gefallenen Mittagessen genossen hatten. Nur die Musik eines Dudelsenders störte etwas, schien aber einer Gruppe junger Menschen zu gefallen.

Der Frühstücks-"Raum" (und die Hotelbar) befindet sich im eigentlichen Highlight des Hotels, dem ehemaligen Schnürboden der Werft. In dieser hohen Klinkerhalle wurden die Holzmodel gefertigt, die dann später Vorlage für die zu endgültigen Metallteile waren. Maß wurde ursprünglich mit Schnüren genommen, der Name hat sich gehalten. Das gusseiserne Skelett der Hallenkonstruktion ist ebenso erhalten und sichtbar, wie einige beeindruckende Maschinen und insbesondere der große Bockkran einschließlich Laufkatze. Sicher nicht original, aber sehr originell ist die Lackierung aller Metallteile in türkis. Diese Farbe wird dann bei den Polstern der hellen Holzmöbel und sonstigen Wohntextilien teilweise wieder aufgegriffen. Zusammen mit den Messingaccessoires wirkt das zwar ziemlich 80er, aber in der großen Halle ergibt sich ein ganz eigenes, stimmiges Ambiente. Eben weder der erneut moderne kalte Sichtbetonlook einiger Gastrotempel, noch der gewollt shabby Holzkisten-Klinkerwand-Stil angesagter Hipsterlocations. Wir haben uns sehr wohlgefühlt. Als es gegen Abend dunkler wurde, zauberten Kerzen, Stehleuchter und insbesondere nach oben gerichtete Strahler an den Wänden eine wunderbare Atmosphäre in der Halle. Für das besondere Ambiente von mir ausnahmsweise 5 Sterne. Gleiches gilt für die Sauberkeit, wobei ich unser Zimmer anstelle eines Besuchs der allgemeinen Toiletten einbeziehe.

Der Schnürboden gibt auch dem á-la-carte-Restaurant des Hotels den Namen. Wir wollten indes auch kulinarisch etwas höher hinaus. Da das ursprünglich anvisierte, besternte Perior in Leer während der Tage unseres Aufenthalts leider geschlossen war, fiel die Wahl auf das Graf Goetzen, das Gourmetrestaurant Hotel Alte Werft. Die im Internet einsehbare Weinkarte war vielversprechend, allerdings wunderte uns die fehlende Speisekarte. Erst dachte ich auch an eine Schließzeit, aber die telefonische Reservierung war problemlos. Über das interessante Schicksal der Namensgeberin (nicht: des Namensgebers!) gibt die Homepage ausführliche Auskunft.
Von der Rezeption wurden wir dann durch die tolle Halle geschickt, an deren Ende wir etwas ratlos standen. Schließlich schauten wir durch eine Lücke in den Stellwänden, die unauffällig und einigermaßen geschmackvoll eine vielleicht 40 Quadratmeter große Ecke des Raums abtrennten. Und siehe da, um eine Station mit Edelbränden waren mehrere, verschieden große Tische mit Hochlehnern gruppiert, mit weißen Tischdecken und jeweils einer hohen weißen Gladiole. Eingedeckt waren jedoch nur zwei Plätze an einem schönen Tisch mit Blick in den Garten. Wir blieben dann auch über den Abend die einzigen Gäste in diesem übergroßen "Séparée". Immerhin hatten wir so die ungeteilte Aufmerksamkeit der jungen Commis de rang, die sehr gut ausgebildet war. Das war handwerklich alles tadellos und sehr bemüht. Auch im Foyer des Hotels belegen etliche, aktuelle Urkunden, dass man sich hier erfolgreich um den Nachwuchs kümmert. Was unserer Bedienung fehlte, war allerdings die Souveränität im Umgang mit anspruchsvollen Gästen. So etwas wächst erst mit den Jahren, hätte aber viel geholfen beim Borgfelder, der sehr verärgert war.
Und das kam so: Mit der unvermeidlichen Frage nach dem Aperitif, kaum, dass wir saßen, wurde eine recht schmale Karte überreicht. Die hielt ich für ein Versehen, da mit "Schnürboden" überschrieben. Meine Nachfrage zauberte ehrliches Erstaunen in das Gesicht der jungen Dame. Nein, eine eigene Karte habe das Graf Goetzen schon seit der Landesgartenschau im letzten Jahr nicht mehr. Bei teilweise 200 Gästen sei das nicht leistbar gewesen. Na, schön, dass das geklärt ist. Und ein Hinweis auf der Homepage war seit Oktober offenbar auch nicht leistbar. Oder wenigstens bei der Reservierung. Nein, das Restaurant bestehe quasi aus dem abgetrennten Bereich, sonst sei alles identisch, Küche, Service, Karten. Nein, ein besonderes Tagesangebot gebe es auch nicht. Sie könne aber ja mal in der Küche nachfragen, ob man etwas außerhalb der Karte für uns anbieten könne. Nö, war der Bescheid aus der Küche. Aber: "Wir können für Sie ein Amuse Geuele machen, wenn Sie sowas mögen." Mann, Mann, Mann. Was war ich geladen. Natürlich nur, weil ich Erwartungen hatte und folglich enttäuscht werden konnte. Genauer gesagt, ein wenig vera...lbert kam ich mir vor. Mein Fehler, klar...

Wie gut, dass uns aus dem Paradies drei Dinge geblieben sind: Frauen, die uns sagen, dass wir uns nicht so wichtig nehmen sollen. Hunger, der die Suche nach Alternativen verbietet. Und Alkohol, der eine verlässliche Mauer zwischen uns und dem Unbill dieser Welt errichtet. Diesen dreien vertraute ich mich an und hatte so mit der Zeit einen Restaurantbesuch, der im Rahmen gehobener Hotelküche durchaus zu einer Empfehlung führt.

Meine Frau wählte einen fruchtigen Cocktail für günstige 4,2€, mich besänftigte ein Gläschen Laurent Perrier Brut für 10,7€, neben dem Rosé aus demselben Maison der einzige Champagner. Das Wasser, sei es SP oder die nahe Emsland Quelle mit 6,2€ für den dreiviertel Liter gewohnt überzogen.
Zum Knabbern wurden Baguettescheiben und zweierlei Knäcke gereicht, wobei die Körnervariante gut, das Roggen aber ausgefallen und ausgesprochen lecker war. Als Dip/Aufstrich standen Butter, ein recht fester, dilllastiger Kräuterquark und ein wohlschmeckender fruchtiger Paprikafrischkäse zur Wahl. Gut so, denn ich hatte große Probleme, etwas Ansprechendes aus der zum einen sehr übersichtlichen Karte zu finden. Vermutlich hing es zum anderen noch mit meiner Erwartungshaltung zusammen, denn es gab überwiegend Standard-Angebote der Art "Aus dem Meer und von der Weide". Was der Tourist (vermeintlich!) erwartet, wenn er sich gefühlt in Küstennähe begibt... Die beiden Standardvorspeisen konvenierten nicht, so dass ich mich von meinem Wunsch nach etwas Ausgefallenerem sogar zum Äußersten hinreißen ließ und um eine kleinere Portion des vegetarischen Gerichts bat. War erfreulicher Weise kein Problem. Karottencrêpe gefüllt mit grünem Spargel, Lauchzwiebeln und Champignons in einer Kräutersahnesauce für 9,8€ (statt 13,5€). Danach entschieden wir uns für Zander auf der Haut gebraten, allerdings statt der vorgesehenen Fenchel-Süßkartoffeltalern begleitet von einem "spanischen" Risotto mit Serranoschinken, Oliven und Knoblauch. Das war eigentlich für die Maispoulardenbrust vorgesehen, aber der Tausch war auch hier ohne weiteres möglich, fein. Das Hauptgericht war mit 19,5€ bepreist. Die Dessertentscheidung wollten wir uns noch vorbehalten. (Es gab eine kleine zusätzliche Pfifferlingskarte, das sei zugestanden. Allerdings ist Anfang August bei heißem Sonnenschein für uns eben noch keine Pilzzeit. Inzwischen wurden die Pfifferlingen von einer kleine Wildkarte abgelöst, in der ich schon leichter fündig geworden wäre. Alle Karten sind im Internet einsehbar - aber eben unter dem Restaurant Schnürboden, nicht unter dem Graf Goetzen. Wer ahnt denn schon... Aber das hatten wir ja bereits.)

Die etwas angeberisch dick gebundene Weinkarte hat uns jedenfalls positiv überrascht, hier ist das Feinschmeckerniveau des ehemaligen Goetzen noch deutlich erkennbar. Viele deutsche Regionen mit namhaften Winzern vertreten, ebenso eine feine Auswahl von europäischen und überseeischen Anbaugebieten und Anbietern. Das Gleiche gilt für Hochprozentiges jeder Richtung. Allein das Champagnerangebot würde in der Hannoveraner Sylt-Außenstelle als arg beschränkt bewertet werden. Dafür gibt es wiederum einige Rotwein-Raritäten.
Wollte man kritteln, würde man bemerken, dass auch hier auf Sicherheit gesetzt wird, also das, was der Gast sicher als gut erkennt. Aber bei den Weinen langweilt mich ein traditionelles Angebot weit weniger, als bei den Speisen. So fiel unser interessierter Blick denn auch auf eine Trierer Karthäuserhofberg Spätlese, die für freundliche 31€, sowohl aus der Lese 2005 feilgeboten wurde, als auch als 2013er. Nach einem Blick in die Weinschränke bedauerte der Service indes, dass leider nur noch der 2005er vorrätig sei. Na, damit kann ich leben! Oder sollte es ein Wink sein, dass selbst die Spätlese nach 10 Jahren etwas müde geworden ist? Mmmh, da gehen wir mal ins Risiko und ja, vielleicht hätte ich etwas mehr Komplexität erwartet. Was uns alte Trinker indes nicht davon abhielt, zwei Flaschen für die Heimfahrt zu ordern (Oder doch lieber für die Zeit nach der abgeschlossenen Rückreise!) Der Mitnahmepreis von 15,5€ war ein gutes Argument und lange sollten die Flaschen nicht mehr liegen... Schatz, fährst du heute noch zum Glascontainer?

Los ging's aber mit den so "charmant" angebotenen Amuses, die sich als Jakobsmuschel mit einigen gedünsteten Gemüsestreifen entpuppten. Zur Deko ein Dill-Zweiglein. Nicht zum Niederknien, aber mittelgroße Exemplare, sorgfältig angebraten, nicht zu fest, mit gutem Eigengeschmack. Und das Beste an Jakobsmuscheln: Meine Frau mag sie nicht! ;-)) Ein zufrieden stellender Auftakt.

Der Für mich folgende flache Gemüsepfannkuchen war handwerklich gelungen, wobei ich Karotte weder sehen, noch schmecken konnte. Auch die Sahnesauce war gut. Nur leider, leider hatte das Gericht einen penetranten Geschmack nach grünem Lauch, gegen den alle anderen Bestandteile null Chance hatten. Zudem gehört Lauch nun zu den von mir wenig bis gar nicht geschätzten Gemüsen. Bei meiner Frau ist es gerade das Gegenteil, so dass nun ein Teller von meiner Seite des Tisches wanderte. Nach der Jakobsmuschel aus der Gegenrichtung waren Yin und Yang also wieder im Einklang.
Nach angenehmer Wartezeit wurde der Fisch serviert. Die Küche ließ sich offensichtlich zu weiteren "Angeboten" hinreißen, jedenfalls wurden außerhalb der Karte zusätzlich Blattsalate mit halben Kirschtomaten, Körnern und Feigenvierteln in einer sicher selbst gemachten Himbeeressig-Senfsauce serviert. Das angemessen große Filet mit schöner goldbraun gebratener Haut thronte auf dem Risotto, so dass sich bestätigte, dass jedes (gebratene) Gericht doch irgendwie braun aussieht. Farbe brachte ja wiederum das Dillzweiglein ins Spiel - was dem einen seine Kirschtomaten...
An diesem Gericht gab es rein gar nichts auszusetzen. Der Fisch war zwar durch, aber saftig und so geschmackvoll, wie Zander halt ist. Die Haut vorbildlich eingeschnitten und knusprig. Der Reis schlotzig, aber nicht zerlaufend. Mit reichlich Schinken, der aber nicht zuviel Salz hatte. Die Oliven setzten einen leicht fruchtigen Akzent.
Natürlich konnte meine Begleitung sodann trotz des unerwarteten Kräutercrêpe einem Dessert nicht widerstehen (merke: Geschenktes Essen hat keine Kalorien, die bleiben beim Schenker!). Erdbeerparfait mit Orangen-Chili-Confit hörte sich jetzt durchaus ambitioniert an. Der Preis von 7€ dafür günstig. Erdbeeren sind - außerhalb der hiesigen Hochsaison - nun nicht gerade meins, auch Rote Grütze esse ich lieber eigene (Der nächste norddeutscher Klassiker auf der Karte!). Aber bevor ich wieder missmutig werden konnte - da wär der gute Moselwein auch vor gewesen - bot mir unsere Servicedame ein von der Küche erstmals gefertigtes Sauerkirschsorbet an. Die Küche kann ja doch, wenn sie will; aber gerne!. Da wir auf Kaffee verzichten wollten, gab es immerhin für jeden dazu ein Gläschen Tawny Port je für günstige 3,7€ (lt. Karte Calem, gem. Rechnung Royal Oporto), der zum Geeisten fast angewärmt erschien und gerade zu den Kirschen bombastisch schmeckte! Beide Desserts waren sehr gut, das eine cremig-mild, das andere intensiv säuerlich-fruchtig, keineswegs wässrig. Ein rundum gelungener Abschluss.

Schlussendlich kamen 109€ auf die Zimmerrechnung, das verdiente Trinkgeld gab's in bar. Zu unseren Gunsten wurde nur ein einfacherer QbA-Riesling eingebongt. Ein vermutliches Versehen, das mir jetzt beim Schreiben aufgefallen ist.
Mit dem gebotenen zeitlichen Abstand und endlich weg von falschen Erwartungen muss, nein, möchte ich die Küchenleistung als gelungen und empfehlenswert bezeichnen. Allein der Crêpe ließ Karotte vermissen und die Kräutersauce traf nicht nur nicht meinen Geschmack, sondern war auch unausgewogen. Deswegen "nur" gute(!) 4 Sterne. Das PLV möchte ich wohlwollend noch etwas darüber ansiedeln.
So kann's gehen...

(Kaum waren wir im Zimmer angekommen, läutete der Meister für einen gemeinsamen Ausklang in der Bar an, so dass es nach den kulinarischen Genüssen auch noch interessante Einblicke in das künstlerische Arbeiten gab. Insgesamt ein Tag, der uns im Gedächtnis bleiben wird!)
DETAILBEWERTUNG
Service
Sauberkeit
Essen
Ambiente
Preis/Leistung


Ehemalige User und 33 andere finden diese Bewertung hilfreich.

Huck und 35 andere finden diese Bewertung gut geschrieben.