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Ein knappes halbes Jahr wohnen wir mittlerweile in Wörth am Rhein. Das ehemals kleine Fischerdörfchen aus der Zeit vor Johann Gottfried Tulla wurde in den 60er Jahren mächtig auf- und umge“daimlert“. Mit seinen etwas mehr als 18500 Einwohnern (die drei „ausgelagerten“ Ortsbezirke Maximiliansau, Büchelberg und Schaidt mitgerechnet) steht es heute in mehrfacher Hinsicht gut da.
Die Anbindung zum badischen „Klassenfeind“ könnte dank S-Bahn und sanierter Rheinbrücke gar nicht besser sein. Und auch der nach dem Konzept von Albert Speer jr. errichtete Ortsteil „Dorschberg“, der sich auf ehemaligem Bienwald-Gelände befindet, löst alle Versprechungen zentral-funktionaler Nahversorgung fußläufig ein. Kindergärten, Schulen, Arztpraxen und Frisöre können hier locker per pedes erreicht werden. Auch kulturell geht hier „ä bissel was“, wenn nicht gerade eine Pandemie sämtliche Veranstaltungen zu Nichte macht.
Unser gastronomisches Angebot vor Ort.
In gastronomischer Hinsicht gestaltet sich das Angebot - trotz ein paar neu hinzugekommener Pizza- und Pastaoptionen - recht übersichtlich. Da freut es einen schon, dass die Ende November 2021 geschlossene Turnerstube (im Ortsteil Maximiliansau) – ich berichtete hier auf GG – Anfang Februar mit neuem Pächter an den Start gegangen ist.
Neben einigen Bastionen gutbürgerlicher „Haureinschaufelei“ (Kaminstubb, Bajazzo), diversen asiatischen Wokgefährten und dem ein oder anderen freundlichen Italiener um die Ecke (Osteria Romano, Oro di Barone), sind es vor allem die Grillstätten des griechischen Fleischfressertums, die sich nach wie vor einer gewissen Beliebtheit erfreuen.
Das El Greco in Max‘au habe ich zur Mittagszeit zweimal besucht. Das war ganz ordentlich, aber irgendwie auch nichts Besonderes, weshalb ich keinen Bericht darüber verfasste. Vom Kalimera bei der Bienwaldhalle wurde mir abgeraten. Laut meinem Informanten soll das Lokal gegenüber seinem Vorgänger (Amadeus hieß das Lokal damals, Anm.) merklich nachgelassen haben.
Das Restaurant Neo in der Max’auer Kirchgasse wäre mit seinem grundsoliden Pasta-, Fisch-, und Fleischangebot sicher eine verlässliche Anlaufstelle für Freunde mediterraner Tellergerichte. Ein Lunch vor ein paar Jahren bestätigte dies. Aber da läuft man vom Dorschberg nicht eben mal grad so hin.
Wörths erstes Haus am Platz: ein Deutsch-Grieche im Bayerischen Hof.
Wesentlich näher gelegen und für uns deutlich leichter erreichbar ist der Bayerische Hof in der Ottstraße. Dank der aufwendigen Renovierung vor wenigen Jahren präsentiert sich das Traditionsgasthaus heute als die Wörther Vorzeigeadresse schlechthin. Sie wird seit einiger Zeit von der Familie Jäger geführt. Inhaber Andreas Jäger schob bereits Küchendienst bei besagtem Amadeus an der Bienwaldhalle und hat die dort erworbene Grillkompetenz auf seine neue Wirkungsstätte übertragen. So erklärt sich die deutsch-griechische Ausrichtung des Bayerischen Hofs.
Epikur, quasi der Laotse Griechenlands, war es, der um die 300 vor Christus den ein oder anderen Sinnspruch von sich gab. Unter anderem behauptete er steif und fest (wahrscheinlich nach dem Verzehr einer sättigen Mahlzeit…), dass die Wurzel aller Vergnügen ein zufriedener Magen sei. Nun, da wollte auch der Wörther Kollege unseres Schlemmerclubs nicht widersprechen und machte einen Tisch bei Familie Jäger an einem kalten Mittwochabend Mitte Januar klar.
Auch wenn bei mir das Verlangen nach gebrutzelten Fleischhügeln in den letzten Jahren tendenziell eher abgenommen hat, so gelüstet es mich doch ab und an nach dem griechischen Karnivoren-Katechismus, der wohl in 90% der in Deutschland operierenden Hellashütten seine Anwendung findet. Besonders in den Wintermonaten, wenn der heimische Balkongrill ein traurig-erkaltetes Schattendasein fristet, darf es auswärts auch mal wieder etwas fleischiger zugehen.
Das gemütlich eingerichtete Innere.
Nach freundlich-jovialer Begrüßung durch den Sohn des Hauses, der sich für den Service verantwortlich zeigte, hielten wir auch bald die mit den üblichen Verdächtigen gefüllte Futterfibel in unseren Händen. Noch vor deren Lektüre fiel mir das hübsch gestaltete Interieur des Gastraumes ins Auge.
Wir saßen recht kommod im vorderen Abteil des Lokals, das an jenem Abend spärlich gefüllt war. Weiter hinten tafelte eine größere Gesellschaft in einem zweiten Gastraum, der etwas kleiner war und wie eine Art Separée für Feierlichkeiten wirkte. Dementsprechend lebhaft ging es dort zu.
Bei uns herrschte hingegen eine fast schon tiefenentspannte Atmosphäre, die herrlich entschleunigend wirkte. Beim genaueren Betrachten der Räumlichkeit fiel mir die wertige Einrichtung des Etablissements sehr positiv auf. In ganz Wörth gibt es wahrscheinlich keinen exquisiteren „place-to-dine“, so mein erster Gedanke. Der Raum atmete die gediegene Rustikalität eines schmucken Landgasthofes.
Gemütliches Ambiente
Grundsolides, adrettes Bistromobiliar der bequemeren Sorte bevölkerte unseren Ort der Einkehr. Die aus hellem Holz geschnitzten Tischplatten schauten keck unter ihrem weißen Leinenüberzug hervor. Dunkles Holzlaminat am Boden kontrastierte mit den hellen Holzverkleidungen der Wände. Wo das helle Holz fehlte, wurden diese von großformatigen Schwarz-Weiß-Fotographien mit historischen Bildern der Karlsruher Hoepfner-Brauerei dekoriert. Da wusste man gleich, woher die Jägers ihren Gerstensaft bezogen. Aber Hoepfner gehört ja schließlich nicht zum Schlechtesten, was Baden so zu bieten hat.
Der hübsch renovierte Gastraum
Eine nachträglich eingebaute Schallschutzdecke – mein Gegenüber wusste über sämtliche Umbaumaßnahmen bestens Bescheid – sorgte für eine wohltuende Akustik. „Leuchtarmige Banditen“ spendeten als Wandleuchten im Schreibtischlampen-Look angenehmes Licht von oben. Ergänzt von ein paar Hängeleuchten im Vintage-Design.
Ein paar Kunstblümchen steuerten dezidierte Farbakzente bei. Papierservietten, Einfachbesteck, Kerzenglas und der mittlerweile häufig anzutreffende Plastikaufsteller für die Luca-App seien an dieser Stelle als die restlichen Elemente der Tischlandschaft erwähnt. Alles gepflegt und sauber. Und vor allem: kein Schnörkel zu viel.
Das Hellas-Handout für Eingefleischte.
Wesentlich üppiger präsentierte sich hingegen das Speisenangebot. Tzatziki, Taramas und Chtipiti fehlen wohl in keinem griechischen Antipasti-Portfolio. Dass sich dort neben Bauern-, Gyros- und Calamaris-Salat auch ein waschechter Straßburger Wurstsalat tummelte, liest man so auch nicht auf jedem Hellas-Handout. Aber egal, kam für uns ja eh nicht in Betracht. Wo Elsassinatoren mit Käse und Vinaigrette verfeinerte „cervelas“ verputzen, weiß mittlerweile jeder Grenzgänger.
Sage und schreibe 15 verschiedene warme Vorspeisenpositionen listete das umfangreiche Repertoire der „Jägersmänner“. Und nahezu alles schien vorher mit genügend Grillfeuer in Kontakt gekommen zu sein. Gegrillte Meeresfrüchte, Grillgemüse (Champignons und Zucchini) und natürlich auch die gegrillten grünen Schoten hatte man ins Vorspeisenbataillon berufen.
Auch bei den Hauptgerichten ging man kulinarisch auf Nummer sicher. Mit fleischgewordenen Deftigkeiten von Lamm, Rind, Schwein und Pute spricht man naturgemäß ein Publikum an, das Experimenten gegenüber eher abgeneigt ist und nach festen Vorstellungen entsprechend beliefert werden möchte. Platten für zwei Personen in drall bemessenen Portionen dürfen da nicht fehlen. Ansonsten wird aufgespießt bis sich die Metallstäbe biegen.
Der Anteil gutbürgerlicher Fleischmannskost schlug mit einem guten Dutzend deutscher Profangerichte zu Teller. Da wurde schweinern geschnitzelt und argentinisch gerumpsteakt. Selbst Pute für bewusste Hellfleischesser hatte man auf der Kartenkladde verzeichnet. Wer da nicht das passende Stück Tier zum nonvegetarischen Mindset findet, der ist mit falschen Vorstellungen hier aufgeschlagen.
Die Qual der Wahl.
Da die gebratenen Hypotenusen und die sautierten Katheten wohl gerade aus waren, musste mein Gegenüber auf den bei 9.Klässern noch heute sehr beliebten Pita-Gyros (oder war es sein Namensvetter?) verzichten und orderte aus der illustren Fleischfülle eine kleine Portion Kleingehäckseltes vom Schweinehügel. Zwar ohne Fladenbrot, aber mit Tzatziki und Beilage nach Wahl und für 11,50 Euro nicht unverschämt bepreist.
Nun muss man wissen, dass dieser gestandene Gasthausgänger häufig an den von ihm selbst auferlegten Portionen scheitert. Eine weise Entscheidung also, von der ich mich nicht im Geringsten beeinflussen ließ. Leider.
Vorweg einigten wir uns auf die mit pikanter Knoblauchcrème verfeinerten Peperoni „from the grill“ (5,90 Euro). Wer möchte schon mit frischem Atem den Heimweg von einer Gyrosschenke antreten? Meine Wahl fiel nach langem Hin- und Herüberlegen auf den Mix-Teller (17,90 Euro), der mit Gyros, Rump- und Schweinesteak sowie einem Souvlaki-Spieß wirklich alle Karnivorensünden in sich vereinte.
Als Beilage durften es ruhig mal wieder Kroketten sein. Ja genau, die aus frostigem Tiefschlaf fritteus erweckten Kartoffelzylinder nach DIN-Norm kamen mir gerade recht. Auch mein Gegenüber setzte auf bewährte Frittierware und beschied sich mit einer Portion Kartoffelchips, dem gastrogriechischen Surrogat für ehrliche deutsche Bratkartoffeln. Aber wer sich lieber die Pommes scheibchenweise zuführt, der kann auch hier bedenkenlos zugreifen.
TK-Chips
Getrunken wurde an diesem Abend ausschließlich frisch gezapftes Hoepfner-Pils. Das machte Sinn, denn der halbe Liter lief hier für freundliche 3,90 Euro aus dem Zapfhahn. Da orderten wir doch gerne noch eins nach.
Dem Hunger keine Chance lassen.
Die grünen Grillfinger begeisterten als vorzüglich mundende Vorweghappen. Die sorgsam aufgereihten Schmurgelschoten kamen mit ordentlicher Grillbräune und einer würzig-pikanten Knobi-Crème auf die Platte ihrer letzten (Oliven-)Ölung. Ein verlässlicher Einstieg, der mit einem Körbchen voller Baguette-Scheiben ausgestattet, auf tunkende Gemüter stieß.
Grüne Schmurgelschoten
Der Beilagensalat war mit einem dill-lastigen Allerweltsdressing aus dem Kanister angemacht worden. Er bestand vornehmlich aus geschmacksneutralem Eisbergsalat. Etwas geraspelte Karotte on Top wertete in marginal auf. Immerhin wurde mir kein schlappes Blatt untergeschummelt. Insgesamt war es jedoch ein eher kantinesk anmutender Vertreter seiner Art, der nur zur texturellen Abwechslung diente und kulinarisch keinen nennenswerten Mehrwert beisteuerte.
Neutralsalat mit Allerweltsdressing
Unter olympischen Zwiebelringen lag der recht saftig wirkende Mount Gyros meines Kollegen begraben.
Gyros - wohlberingt!
Eine Kugel Tzatziki-Sorbet hatte man gleich mitgeliefert. Die erwähnten Kartoffelchips waren separat in einer Schale untergebracht. So trug man trotz aller À-Part-Bemühungen der guten alten Sitte Rechnung, möglichst alles auf einem Teller zu vereinigen.
Der kleine Gyrosteller in der Totalen
Das gleiche Anrichtemuster galt auch für mein gemischtes Fleischensemble mit „krokettaler“ Ergänzung.
Der Mix-Teller in der Totalen
Schon beim Anblick dieses mächtigen Nachbaus eines mykenischen Fleischtempels wunderte ich mich über meinen leichtsinnigen Bestellermut.
Meat-Wall
Da wurde dem zivilisationsmüden Magen-Darm-Trakt zu später Stunde noch eine ganz schöne Mammutaufgabe zugemutet.
Bis auf das kleine Schweinerückensteak, das laut Karte eigentlich von der Lende stammen sollte, stand hier alles gut im Saft. Freunde des knusprigen Gyros wären dagegen wohl etwas enttäuscht gewesen. Das Rumpsteak war zwar knapp jenseits der Medium-Grenze gegart, aber noch nicht zur Staubsohle mutiert. Der Souvlaki-Spieß war in seiner Üppigkeit ein erschlagendes Argument dafür, die Grillsaison doch erst in ein paar Monaten zu eröffnen (bis dieser gänzlich verdaut sein würde).
What a Souvlaki!
Was soll ich abschließend sagen? Natürlich war das ein Teller der niederen Herren-Instinkte, den ich aufgrund seiner Ausmaße nur mit Müh‘ und Not vertilgt bekam. Die leicht gesalzenen Kroketten dienten als zusätzliche Füllmasse, um auch die letzten paar Kubikzentimeter vom Magenvolumen noch zuzuspachteln.
Los Croquetas
Gut, dass man uns nach dem Essen noch einen Ouzo spendierte. Er verhinderte Schlimmeres. Der Weg zurück mit dem Rad (von Altwörth „hinauf“ zum Dorschberg) fiel mir danach trotzdem schwer.
Fazit.
Wer auf erwartbare Fleischküche in gemütlichem Ambiente Wert legt, der ist bei Familie Jäger im Bayerischen Hof gut aufgehoben. Einen ordentlichen Hunger sollte man allerdings mitbringen, denn die Gerichte sind nicht schüchtern portioniert. Die Preise sind im Schnitt auch nicht höher als bei den umliegenden Fleischtempeln. Und im Sommer kann man es sich draußen im Biergarten gut gehen lassen. Alles Argumente, die uns in den nächsten Jahren sicherlich das ein oder andere Mal vorbeischauen lassen.