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Das Interieur
Das Schöne ist, dass die Karte neben einigen Klassikern immer auch genug Abwechslung bietet, dass es einem nicht langweilig wird. Im Rahmen unseres Berlin-Trips hatten wir bei fünf Restaurants drei für uns neue Adressen, die zum Teil durchaus experimentell und fordernd waren. Da ist es beruhigend, sich bedenkenlos fünf Gänge (68,--€) auszuwählen und zu wissen, dass es gut werden wird.
Zum Apéritif gibt es wie gewohnt einige kleine prägnante Knabbereien, den bekannten marinierten Schweinebauch, die japanische Gurke, die würzigen Cashews und etwas vorzügliche Salami. All dies bereitet den Gaumen mit der prägnanten Schärfe auf die folgenden Gänge vor. Denn eins ist klar: Tim Raue würzt mutig und eher mit dem Gong als mit dem Glöckchen.
Snacks zum Apéro
Deutlich wird das zum Beispiel beim Sashimi von der Makrele mit Shiso und einem Sud aus Ponzu. Wie bereits bei früheren Gerichten, und da auch gerne bei den fischigen Vorspeisen, wird der Schärfegrad bis an die Grenze ausgereizt, aber eben nicht überschritten. Toll und auch optisch ein echter Hingucker.
makrelen sashimi, shiso & ponzu
Dem steht auch die Gänseleber (8,--€ Zuschlag) , eines der zahlreichen Signature-Dishes, in nichts nach. Mit Matcha-Tee marmoriert, einigen getrockneten Trauben, etwas säuerlichem Gel, einem leicht scharfen Püree und einigen Blättern Jiaogulan, dem Unsterblichkeitskraut, garniert, ist auch dieses Gericht einfach erst mal super schön anzuschauen. Je nachdem, in welcher Dosierung die unterschiedlichen Komponenten mit der schmelzigen Leber kombiniert werden, ergeben sich sehr abwechslungsreiche Nuancen. Zu Recht ein Klassiker.
gänseleber, jiaogulan & matcha à part zur Gänseleber
Zum festen Repertoire bei Raue gehören immer einige Dim Sums, die auch häufiger wechseln, so dass man sich überraschen lassen kann, welche Gerichte oder Zutaten er in Dim Sum-Form interpretiert. Bei mir ist es ein Klassiker der französischen Küche, die Ente à l'Orange mit Chicorée und in der Tat schwebt, vor allem durch die ausgezeichnete Sauce, ein ganz klares vertrautes Aroma über dem Teller. Der Teig perfekt, die Füllung elegant - sehr gelungen.
dim sum „ente à l‘orange & chicorée“
Die Version mit Hühnerbrühe, Jakobsmuschel und Bambuspilzen ist mir zu dezent. Klar ist die Brühe gut, aber weder das luftige Teiggebilde noch das Muschelfleisch können markante Gegenpunkte setzen. Gut, aber nicht überragend.
dim sum „hühnerbrühe, jakobsmuschel & bambuspilz“
Ein weiterer Klassiker dann der Zander im Sud aus 10-jähriger Sojasauce (8,--€ Zuschlag), den mein Mann wählt. Auch über diesen Teller ist bereits so häufig berichtet worden, dass ich nicht viel hinzufügen muss. Der Zander ist von hervorragender Qualität und der Sud in seiner unglaublichen Tiefe einfach zum Hineinlegen. Ich hatte das Gericht im Januar und erinnere beim Querprobieren sofort wieder alle Details.
zander, kamebishi soja 10y, lauch & ingwer
Ich selbst probiere dieses Mal den Hamachi in Jade Sauce und Sansho Pfeffer. Das gefällt mir auch sehr gut, lässt eine dezente Schärfe erkennen, bleibt aber unterm Strich sehr elegant.
hamachi, jade sauce & sansho pfeffer
Beim Hauptgang entscheide ich mich für das im Lotusblatt gegarte Bettlerhuhn, einem Stück aus der Perlhuhnkeule, mit Feldsalat. Das Fleisch schmeckt würzig und leicht scharf, ist aber grenzwertig portioniert. Gefühlt (oder tatsächlich) sind wir hier bei nicht mehr als 70-80g, so dass das Querprobieren dieses Mal nur in homöpathischen Mengen passiert.
bettlerhuhn, lotusblatt & feldsalat
Was auch für die 6 Scheibchen Bauch des Dong Po-Schweins gilt. Akkurat aufgestellt und mit sehr feiner Galgantsauce und Wassermelone versehen, ist auch dies ein Fleischgang eher am unteren Gewichtsniveau. Geschmacklich aber dafür weit oben.
dong po schwein, wassermelone & galgant
Zum Abschluss gehe ich auf die süße Seite und bekomme mit einer knusprigen Rolle aus Quitte, Macadamia Nougat und Passionsfrucht eine fast schon klassisch anmutende Komposition. Ist erneut auf sehr gutem, aber nicht überragendem Level.
quitte, macadamia nougat, passionsfrucht
Dafür überrascht mich der Käsegang meines Gatten umso mehr. Was mit Brie de Meaux, schwarzem Trüffel und Haselnuss eher belanglos klingt, entpuppt sich als cremig, knuspriges Vergnügen, das absolut überrascht. Natürlich probieren wir auch hier quer und ich muss mich zügeln, den Teller überhaupt wieder herzugeben.
brie de meaux, schwarzer trüffel & haselnuss
Zum Espresso gibt es dann noch einige leckere geeiste Pralinen.
Petits Fours
Tim Raue ist und bleibt eine sichere Bank. Seine Handschrift ist unverkennbar und in dieser Form in Deutschland vermutlich einmalig. Das ist asiatische Küche modern und reduziert interpretiert, aber außerordentlich fokussiert und geschmacklich tiefgründig. Schärfe, mal mehr, mal weniger prägnant, aber immer dezent vorhanden, ist ein vorherrschendes Thema. Aber es ist ja auch spannend zu erfahren, dass es Schärfe nicht nur in unterschiedliche Graden, sondern auch in unterschiedlichen Geschmacksformen gibt. Die Portionsgröße bei den Hauptgängen fand ich etwas unbefriedigend, aber mit fünf oder sechs Gängen ist man gut bedient und darf sich auf ein höchst erfreuliches Mittagserlebnis einstellen.
Dazu trägt auch der unkomplizierte Service und André Macionga als Sommelier bei, der aus einer umfangreichen Weinkarte nicht nur kostspieliges empfiehlt. Wir hatten beim letzten Besuch großen Spaß mit dem Chardonnay Rosengarten vom Weingut Uexkuellhof aus Bechthofen, das von Georg Fischer, einem Starfotografen bewirtschaftet wird und bestellen ihn erneut. Der Wein ist kraftvoll, mit gut eingebundenem Holz und hält ausreichend mit der Schärfe der Gerichte mit. Zudem ist er mit 48 Euro mehr als fair bepreist.
Als wir zwei Stunden später im Zug nach Hause sitzen, ist eins schon jetzt klar. Wenn Berlin, dann auf jeden Fall wieder Tim Raue. Gesetzt ist eben gesetzt.